Er soll die Initiative in der Schuldenkrise ergreifen

Straßburg/Brüssel. Vor seiner Rede zur Lage der Europäischen Union, die er heute halten wird, hat das Europäische Parlament Kommissionschef José Manuel Barroso kräftig unter Zugzwang gesetzt. Barroso müsse gegen das "nationale Wurschteln" in der Schuldenkrise ankämpfen und eine Gegenstrategie unter Führung der Kommission vorlegen, forderte der Fraktionschef der europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz, gestern in Straßburg. Der Plan aus Berlin und Paris, eine Wirtschaftsregierung der Euro-Staaten unter Führung von Ratspräsident Herman Van Rompuy zu etablieren, sei zum Scheitern verurteilt.

Der Chef der Liberalen, Guy Verhofstadt, verlangte von Barroso einen "globalen Ansatz" gegen die Schuldenkrise. Der Belgier schlug die Einrichtung eines mächtigen Finanzkommissars vor, der auch die Euro-Gruppe leiten müsse. Die Treffen der Euro-Finanzminister werden derzeit vom luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker geführt. Verhofstadt will stattdessen die Kompetenzen von Rat und Kommission in Brüssel bündeln. Geht es nach ihm, dann soll der künftige Superkommissar die Kompetenz erhalten, Sanktionen gegen Schuldensünder zu verhängen.

In den Appellen von Schulz und Verhofstadt kommt eine große Unzufriedenheit weiter Teile des Parlaments mit Barroso zum Ausdruck. Auf den Fluren in Straßburg wird bereits über einen Misstrauensantrag gegen den Kommissionschef geflüstert, weil sein Krisenmanagement als völlig unzureichend gesehen wird. "Wenn es bis zum nächsten Gipfel keine Initiative (von Barroso) gibt, dann gibt es aus meiner Sicht ein Problem", sagte Verhofstadt.

Barroso ist der Zugzwang bewusst. Vor zwei Wochen rief er vor dem Parlament bereits zu einem "Vereinigungsmoment" für Europa auf und sagte den Plänen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und des französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy für eine Wirtschaftsregierung der Euro-Staaten den Kampf an. "Ein System, dass auf reiner Zusammenarbeit der Regierungen gründet, hat in der Vergangenheit nicht funktioniert und wird auch in Zukunft nicht funktionieren." Mit Spannung wird erwartet, ob der Kommissionschef heute tatsächlich einen schlüssigen Gegenentwurf oder zumindest neue Impulse präsentiert. Die EU-Parlamentarier erwarten von Barroso zudem detaillierte Informationen zu der geplanten neuen Steuer auf Finanztransaktionen.

Sein ramponiertes Image will Barroso auch mit einem YouTube-Auftritt aufpolieren. Jeder Interessierte kann im Internet Fragen an den Kommissionschef richten, die er dann in einem Live-Interview am 6. Oktober beantworten will. Vor Barroso hatten sich bereits US-Präsident Barack Obama und die Regierungschefs David Cameron (Großbritannien), Benjamin Netanjahu (Israel) und José Luís Rodríguez Zapatero (Spanien) den Fragen bei YouTube Worldview gestellt.