Gaddafi weist Berichte über Flucht zurück. Nato fliegt Angriffe auf Ziele bei Sirte

Bengasi. Der sechsmonatige Bürgerkrieg in Libyen hat nach Angaben des Gesundheitsministers der neuen Führung bisher mindestens 30 000 Menschen das Leben gekostet. 50 000 seien bei den Kämpfen verletzt worden, sagte Nadschi Barakat. Im Gegensatz zu bisherigen groben Schätzungen basierten diese Zahlen zum Teil auf Berichten von Krankenhäusern, Beamten vor Ort und ehemaligen Kommandeuren der Rebellentruppen.

Eine vollständige Aufstellung der Opfer werde es allerdings erst in mehreren Wochen geben, sagte Barakat. Er rechne damit, dass die Opferzahlen dann nochmals steigen werden. Mindestens 4000 Menschen gelten demnach noch als vermisst. Sie seien entweder tot oder würden in den Gaddafi-Bastionen Bani Walid, Sabha oder Gaddafis Geburtsstadt Sirte gefangen gehalten, sagte Barakat. Auch die anhaltenden Kämpfe um die letzten verbliebenen Herrschaftsbereiche des bisherigen Machthabers werden wohl weitere Opfer fordern. Sie gelten als mögliche Aufenthaltsorte Muammar al-Gaddafis. Bei dem 140 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Tripolis gelegenen Bani Walid gab es in der Nacht zum Donnerstag stundenlange Gefechte. Die Stadt ist umzingelt.

Britische Kampfflugzeuge unter Nato-Kommando flogen nach Angaben aus London Angriffe auf Ziele im Großraum Sirte. Dabei seien unter anderem vier Panzer und drei Schützenpanzer der früheren Regierungstruppen zerstört worden. Anhänger Gaddafis feuerten aus einer ihrer letzten Bastionen mindestens zehn Raketen auf die Rebellenkämpfer ab. Rauch stieg über Wadi Dinar auf, etwa 20 Kilometer außerhalb von Bani Walid. Die Rebellen haben den Ort umstellt.

Kurz zuvor hatte Gaddafi seine Anhänger in einer Audiobotschaft zum Widerstand aufgefordert. Der in den Untergrund gezwungene Gaddafi wies darin kategorisch Berichte zurück, er sei ins Ausland geflohen. Er werde "niemals das Land meiner Vorfahren verlassen", sagte er in einer gestern über den syrischen Fernsehsender Al-Rai TV verbreiteten fünfminütigen Erklärung. Er nannte die Aufständischen in Libyen "einen Haufen Söldner, Verbrecher und Verräter" und erklärte: "Wir sind bereit, den Kampf um Tripolis und jeden anderen Ort aufzunehmen und uns gegen sie zu erheben."

Der Nationale Übergangsrat kontrolliert mittlerweile fast ganz Libyen, mit Ausnahme der drei Gaddafi-Bastionen, in die sich die Anhänger des Ex-Machthabers zurückgezogen haben. Bei den monatelangen Kämpfen verzeichneten seine Truppen schwere Verluste. Etwa die Hälfte der 30 000 Toten seien wohl Kämpfer Gaddafis gewesen, sagte Barakat. Offiziere der Rebellenstreitkräfte hätten ihm gesagt, dass die von Gaddafis Sohn Chamis geführte Elitebrigade 9000 Mann verloren habe.

Während des Aufstands gegen seine Herrschaft verkaufte Gaddafi nach Angaben des neuen Zentralbankchefs rund 20 Prozent der Goldreserven des Landes. Mit dem Erlös habe der gestürzte Diktator Gehälter bezahlt, sagte Kassim Assus. Gaddafi habe örtlichen Händlern im April etwa 29 Tonnen Gold verkauft und so 1,7 Milliarden Dinar (997 Millionen Euro) eingenommen. Assus erklärte außerdem, dass während des Aufstands keine Vermögenswerte der libyschen Zentralbank verschwunden seien.