Peking erklärt Sozialismus und Einparteien-Herrschaft zu Kerninteresse des Staates

Peking. Wenn Peking über seine unverhandelbaren "Kerninteressen" spricht, horchen nicht nur asiatische Nachbarn, sondern horcht die gesamte Welt auf. In den vergangenen Jahren fielen darunter die Regionen Taiwan, Tibet und Xinjiang, mit denen Peking Probleme hatte. Chinas Führung warnte, sie würde jede Proklamation politischer Unabhängigkeit oder versuchte Abspaltung im Fall Tibet und Xinjiangs mit Waffengewalt stoppen. Vor zwei Jahren erweiterte Chinas Führung ihren Drohkatalog auf das Südchinesische Meer. Sie meldete ihre Besitzansprüche auf das Gebiet als "hexin liyi", als ihr neues "Kerninteresse" an.

Peking ruderte wieder zurück, als die alarmierten USA darauf ihrerseits den freien Zugang zum Meer und dessen Sicherheit auch als ihr "Kerninteresse" bezeichneten. Das Wort steht als Synonym für eine Sprachregelung der Machtpolitik. Für Peking bedeutet sie, dem Ausland ein Signal zu senden, wo es seine "rote Linie" zum Eingreifen zieht, zitiert die Zeitung "Chenbao" Experten für internationale Politik.

Chinas Führung hat nun weitere "Kerninteressen" benannt. Ein vom Informationsamt des Staatsrats herausgegebenes Weißbuch zu "Chinas friedlicher Entwicklung" identifiziert gleich ein halbes Dutzend Problemfelder, deren Kompromittierung oder Verletzung Peking nicht zulassen wird. Neben "Staatssouveränität, staatlicher Sicherheit, territorialer Integrität und nationaler Einheit" kommen zwei neue "Kerninteressen" hinzu: "Das durch die Verfassung festgelegte politische System des Landes und seine soziale Stabilität sowie die grundlegenden Garantien für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung". Die Autoren des Weißbuchs bestritten, dass Peking mit der Festlegung von Chinas Sozialismus und der Einparteien-Herrschaft als "Kerninteresse" seine Lehren aus den arabischen Revolutionen zieht. Ein Kommentar in der parteinahen "Global Times" lautete aber, dass Chinas Führung zwar wisse, wie sie mit ausländischer Einmischung in Fragen der Souveränität fertig würde, nicht aber, wie sie "die systempolitischen und sozialen Interessen des Landes im Zug von Reform und Öffnung schützt".

Anliegen der Autoren des 32-seitigen Weißbuchs ist vor allem, dem Ausland zu versichern, dass China in allen Bereichen außerhalb seiner Kerninteressen seinen Aufstieg zur Weltmacht verantwortlich vollziehen und friedlich entwickeln wolle. Wang Yajun, der Direktor des ZK-Büros für Auswärtige Angelegenheiten und Mitverfasser des Weißbuchs, begründet den jetzigen Zeitpunkt der Herausgabe mit der Beobachter verwirrenden Vielstimmigkeit der öffentlichen Meinung in China. Das Weißbuch wolle ein Bekenntnis von Partei und Regierung zur friedlichen Entwicklung ablegen. Damit könne es "unnötige Sorgen und Vorbehalte im Ausland zerstreuen".

Mit solchen Bekundungen Pekinger Friedfertigkeit sollen vor allem asiatische Nachbarn beruhigt werden. Im vergangenen Herbst stritt China sich mit Japan um Territorialansprüche im Ostchinesischen Meer sowie im Frühsommer mit Vietnam und den Philippinen um die Spratly-Inseln (Nansha) im Südchinesischen Meer. Viermal wiederholt das Weißbuch, wie sich China eine pragmatische Lösung von Disputen vorstellt. Alle sollten "nach Gemeinsamkeiten streben und ihre Differenzen ausklammern". Den Nachbarn versichert Peking, es wolle "keine regionale Vorherrschaft anstreben oder sich eine Einflusssphäre verschaffen und kein anderes Land von der Teilnahme an regionaler Kooperation aussperren".

In seinen fünf Abschnitten nimmt das Weißbuch nur nebenbei zu Befürchtungen über Aufrüstung Stellung, obwohl Chinas Armeehaushalt vergangenen März neue Rekordhöhen erreichte und das Militär waffentechnische Fortschritte demonstriert. So ließ es seit 2011 Prototypen offensiver Waffensysteme wie das Tarnkappen-Kampfflugzeug J-20 testen oder seinen ersten Flugzeugträger zur Probefahrt auslaufen. Internationale Kritik weist Peking pauschal als "Bedrohungslüge" ab.

Die Militärausgaben seien "angemessen und moderat", heißt es im Weißbuch.. Mit "defensiver Verteidigungspolitik" müsse die Armee 22 000 Kilometer Land- und 18 000 Kilometer Seegrenzen gegen "vielfältige traditionelle und nicht traditionelle Bedrohungen" schützen. China werde sich auf "keinen Rüstungswettlauf einlassen und militärisch keinen anderen Staat bedrohen". Das Dokument zitiert dazu auch ein altes Mao-Tse-tung-Motto: "Wir greifen nicht an, außer wir werden angegriffen." Als Zweck militärischer Modernisierung nennt das Weißbuch außer dem "Schutz der Souveränität, Sicherheit und territorialer Integrität" erstmals auch die Verteidigung von Chinas "nationalen Entwicklungsinteressen". Auch hierzu gibt es keine Erklärungen, ob Peking sich dabei etwa auf die Sicherung seiner Handelswege und seinen Zugang zu Rohstoffen bezieht.