Botschaft in Washington abgehört. Ex-Pentagon-Chef nennt Netanjahu undankbar

Hamburg/Washington. Was der Angeklagte eigentlich genau verbrochen hatte, den er zu 20 Monaten Gefängnis verurteilte, wusste nicht einmal der Richter. "Ich weiß nur, dass es sich um einen ernsthaften Fall handelt", sagte Alexander Williams vom Bezirksgericht in Maryland der "New York Times". "Ich weiß nicht, was da außer ein paar Dokumenten verraten wurde und welchen Schaden das angerichtet hat. Ich habe keine Ahnung." Das war im Mai 2010, und Shamai K. Leibowitz, der als Hebräisch-Übersetzer für die US-Bundespolizei FBI arbeitete, sitzt seitdem in Haft in Maryland.

Erst jetzt wurden die Hintergründe für die Geheimniskrämerei und die Härte der US-Regierung in diesem Fall deutlich. Leibowitz hatte die Abschriften einer geheimen FBI-Abhöraktion an einen amerikanischen Blogger namens Richard Silverstein weitergegeben. Das Brisante daran: Das FBI hatte, wie Silverstein jetzt enthüllte, die israelische Botschaft in Washington abgehört - also einen der engsten Alliierten der USA. Unter den abgehörten Gesprächspartnern der Israelis in der Botschaft waren auch etliche pro-israelische US-Politiker, darunter mindestens ein Mitglied des Kongresses.

Silverstein erklärte, er habe nach der Verhaftung von Leibowitz rund 200 Seiten Gesprächsprotokolle in einem Hinterhof in Seattle verbrannt - Telefongespräche und Dialoge aus der Botschaft. Die "New York Times" berichtete in diesem Zusammenhang unter Berufung auf US-Geheimdienstkreise, dass andererseits das Ausmaß israelischer Spionagetätigkeit in den Vereinigten Staaten nur noch wenig unterhalb dem von China und Russland liege.

Der Bericht über gegenseitige Spionage kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt für die ohnehin beschädigten amerikanisch-israelischen Beziehungen. Der Hardliner-Kurs von Premier Benjamin Netanjahu ärgert die Regierung von Barack Obama seit Langem. Gestern berichteten die israelischen Zeitungen "Jerusalem Post" und "Haaretz" unter Berufung auf eine Kolumne des prominenten US-Journalisten Jeffrey Goldberg im Nachrichtenportal Bloomberg, der im Juli zurückgetretene frühere US-Verteidigungsminister Robert Gates habe Netanjahu einen "undankbaren Verbündeten" genannt, der amerikanische Interessen beschädige und Israel diplomatisch isoliere. Die Unverschämtheit, mit der Netanjahu Obama und Gates über die Lage im Nahen Osten belehren wollte, habe viele im Weißen Haus schockiert.

Dabei hätten die USA viel zu Israels Sicherheit unternommen, den Israelis modernste Waffentechnologie geliefert und hochklassige Geheimdiensterkenntnisse mit ihnen geteilt, klagte Gates. Die USA hätten jedoch nichts von Israel zurückbekommen - vor allem nicht bezüglich des eingefrorenen Friedensprozesses. Gates' Abneigung gegenüber dem israelischen Premier sei tief verwurzelt, schrieb Goldberg.