Der Diktator kontrollierte sein Volk mithilfe des Geheimdienstes. An dessen Erkenntnissen war auch der Westen interessiert

Tripolis. Die Zentrale des libyschen Geheimdienstes (LIS) liegt mitten in Tripolis. Beiderseits der Straße sind Rebellen postiert. Vor dem Eingangstor stehen zwei Geländefahrzeuge mit schweren Geschützen auf der Ladefläche. Schwere Bewachung. Kein Wunder: In den Aktenschränken des LIS lagern brisante Dokumente über Interna des Gaddafi-Regimes und seine Beziehung zum Ausland.

Die Wachposten sind gereizt. Sie haben einen heftigen Rüffel bekommen. "Ich hatte große Probleme", gibt Akram unumwunden zu. Er ist für die Sicherheit des Geheimdienstgeländes zuständig. "Ich war nur kurz weg, und dann so etwas. Ich hasse den Kerl." Gemeint ist ein Reporter von al-Dschasira, der Dokumente aus dem Büro des LIS-Chefs gestohlen hatte. Darin soll unter anderem stehen, dass David Welch, Staatssekretär im US-Außenministerium unter Präsident George W. Bush, Gaddafi noch im vergangenen August beraten hat, wie der Propagandakrieg gegen die Rebellen zu gewinnen sei.

Am Wochenende sorgten geheime Informationen erneut für Aufsehen, nachdem die "New York Times", das "Wall Street Journal" und der britische "Independent" daraus zitierten. Danach zeigen die Unterlagen, dass es zwischen der CIA, dem britischen Geheimdienst MI.6 und dem LIS gute Kontakte gab. Die CIA ließ demzufolge zwischen 2002 und 2007 Terrorismusverdächtige in das für seine Folterpraxis berüchtigte Libyen fliegen, um sie dort verhören zu lassen. Im Jahr 2004 sollen die USA einen Entwurf einer Rede an Gaddafi geliefert haben, in der der Diktator bekannt gibt, die Produktion von Massenvernichtungswaffen aufzugeben. Anschließend wurde der Despot wieder in die internationale Gemeinschaft aufgenommen. Der britische MI.6 soll dem LIS zwischen 2002 und 2007 Telefonnummern von Exil-Libyern in Großbritannien geliefert haben.

Darüber, woher diese neuen Dokumente stammen, gibt es widersprüchliche Meldungen. Die einen besagen, sie hätten im Privatbüro von Mussa Kussa gelegen, der von 2003 bis 2004 der Chef des LIS war. Kussa soll gute Beziehungen zum MI.6 unterhalten und mit den britischen Kollegen regelmäßig Geschenke ausgetauscht haben. Damit würde klar, warum Kussa im März nach Großbritannien ging, nachdem er sich von Gaddafi losgesagt hatte. Anderen Informationen zufolge wurden die Papiere in den Büros des LIS gefunden. Der Schreibtisch von Abdullah Zanussi, dem letzten libyschen Geheimdienstchef, ist leer geräumt. "Alle Akten sind an einem sicheren Ort", versichert Akram, der sich doch noch entschlossen hat, eine Besichtigungstour zuzulassen. Zanussis persönlicher Aktenschrank ist das Herzstück des Geheimdienstes: ein massiver Kasten, silbermetallic, etwa 1,60 Meter hoch. "Hier sind alle sensiblen Geheimnisse aufbewahrt, für die Journalisten und Politiker aus aller Welt viel geben würden", sagt Akram. "Passwortgesichert", fügt er hinzu. Die Elektronik und die Tastatur am privaten Archivschrank Zanussis sind herausgerissen. Vergeblich hat jemand versucht, ihn gewaltsam zu öffnen.

Schwer von den Nato-Angriffen getroffen wurden die Büros von Zanussis Stellvertreter Ahmed Queldi. Ein großes Loch klafft vom Dach drei Stockwerke tief bis in den Keller. "Dort unten befand sich das Foltergefängnis", erklärt Akram und deutet auf die Zellen, die man noch erkennen kann. Im Fotoarchiv befinden sich Hunderte von Schubläden, in denen Abertausende von Fotos gelagert sind. Ein Kasten trägt die Aufschrift "Islamisten". Darin ein Stapel von großen Porträtfotos. "Ich kenne sie", behauptet Akram vehement. "Gaddafi hat sie alle umgebracht."