Dass Gaddafis Familie - zumindest mehrere Mitglieder - in Algerien sind, scheint mittlerweile völlig sicher. Wo sich der Machthaber selbst befindet, ist unterdessen völlig unklar. Nach dem Fastenbrechen kündigen die Rebellen an, endgültig in Sirte zuschlagen zu wollen.

Tripolis. Wird sich die libysche Krise dort endgültig entscheiden, wo Muammar al-Gaddafi geborden worden war? Die libyschen Rebellen kündigten an, dass es eine mögliche Entscheidungsschlacht in Sirte geben könnte, der letzten Bastion der Gaddafi-Getreuen. In den kommenden Tagen soll angegriffen werden. Der Vorsitzende des Nationalen Übergangsrats, Mustafa Abdul Dschalil, erklärte, er wolle den Anhängern Gaddafis noch bis Samstag Zeit geben, um über eine friedliche Kapitulation zu verhandeln. Danach würden die Rebellen „entschieden und militärisch“ handeln. Ob Gaddafi selbst allerdings in Sirte ist, soll auch den Rebellen unbekannt sein. Er scheint jedenfalls nicht wie viele Teile seiner Familie in Algerien untergekommen zu sein - unter anderem die Tochter Aisha, die dort heute ihr Kind bekommen hat.

„Am Ende könnte es militärisch ausgehen“, sagte er Journalisten in der Stadt Bengasi. „Ich hoffe, dass das nicht der Fall sein wird.“ Länger als bis Samstag – nach dem Ende des Fests des Fastenbrechens – könne man aber nicht mehr warten. Ein NATO-Sprecher erklärte am Dienstag, es sei möglich, dass die Anhänger Gaddafis dessen Heimatstadt Sirte kampflos aufgeben. „Wir haben in mehreren befreiten Dörfern einen solchen Dialog gesehen“, sagte Oberst Roland Lavoie. „Ich sage nicht, dass es keine Kampfhandlungen gegeben hat, aber es waren minimale.“

Die NATO werde jedenfalls ihre Rolle in Libyen wahrnehmen, solange Zivilisten bedroht seien, sagte Lavoie. Am Montag hatte sie nach eigenen Angaben in der Gegend um Sirte bei Luftangriffen 22 gepanzerte Fahrzeuge sowie mehrere militärische Stellungen zerstört.

Im Streit um die nach Algerien geflüchteten Mitglieder der Gaddafi-Familie forderte der Rebellenrat inzwischen deren sofortige Auslieferung. Gaddafis Frau Safia, sowie seine Kinder Hannibal, Mohammed und Aisha aufzunehmen, sei ein „aggressiver Akt gegen den Willen des libyschen Volkes“, sagte der Informationsminister des Nationalen Übergangsrates, Mahmud Schammam.

Gaddafis Tochter Aisha brachte am Dienstag – einen Tag nach ihrer Ankunft im Nachbarland – nach Angaben des algerischen Gesundheitsministeriums ein Mädchen zur Welt. Algerische Medien hatten bereits spekuliert, die Schwangerschaft Aishas sei einer der Gründe gewesen, warum den Gaddafi-Angehörigen die Einreise erlaubt worden sei.

Der Aufenthaltsort von Gaddafi selbst, sowie der seiner übrigen Söhne ist weiter unbekannt. Die US-Regierung teilte mit, sie habe keine Hinweise darauf, dass der frühere Machthaber selbst das Land verlassen habe. Ein weiterer Sohn Gaddafis, Chamis, ist nach Angaben der Rebellen vermutlich vergangene Woche bei Gefechten getötet worden.

In der angespannten Lage nach der Einreise der Gaddafi-Familie begann Algerien laut Medienberichten mit der Schließung der Grenze zu Libyen. Sicherheitskräfte seien dazu an die südöstliche Grenze entsandt worden, berichte die Zeitung „El Watan“ am Dienstag. Das algerische Außen- und Verteidigungsministerium wollten den Bericht nicht kommentieren. Die libyschen Rebellen hatten zuvor erklärt, sie seien von der Aufnahme der Verwandten Gaddafis im Nachbarland wenig überrascht. Während des Bürgerkriegs in den vergangenen Monaten hatten sie Algerien immer wieder beschuldigt, Gaddafi mit Söldnern zu versorgen.

UN besorgt über Menschenrechtsverletzungen in Libyen

Die Vereinten Nationen reagieren extrem alarmiert auf Berichte „abscheulicher Menschenrechtsverletzungen“ und Massenexekutionen in Libyen. Man sei auch „zutiefst besorgt“ darüber, dass noch immer Tausende Menschen vermisst würden, die im Laufe des Konflikts oder noch vor Beginn der Auseinandersetzungen von Sicherheitskräften Muammar al-Gaddafis festgenommen worden seien, erklärte ein Sprecher der UN-Menschenrechtshochkommissarin am Dienstag in Genf. Angesichts der grauenhaften Entdeckungen in den vergangenen Tagen bestehe Anlass zur Sorge hinsichtlich ihrer Sicherheit. Die UN fordern die Verantwortlichen des Gaddafi-Regimes auf, sofort offenzulegen, wo die Gefangenen festgehalten werden, bevor weitere Menschen sterben müssten.

Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch äußerte den Verdacht auf Massenhinrichtungen durch Gaddafi-Getreue. In einem am Samstag abgebrannten Lagerhaus in Tripolis seien die verkohlten Leichen von etwa 45 Menschen gefunden worden, so die Organisation mit. Es handele sich vermutlich um die Opfer einer Exekution durch die von Gaddafis Sohn geführte Khamis-Brigade. Zudem gebe es Hinweise auf weitere kollektive Hinrichtungen von Häftlingen in den letzten Tagen des Gaddafi-Regimes, teilte die Nordafrika-Direktorin von Human Rights Watch, Sarah Leah Whitson, mit.

Unterdessen weitete das Welternährungsprogramm (WFP) seine humanitäre Hilfe für Libyen aus. Den Angaben zufolge sollen rund 600 Tonnen Nahrungsmittel, darunter Mehl und Olivenöl, an rund 35.500 Menschen in Tripolis, den Küstenstädten und der Bergregion Nafusa verteilt werden. Zudem wolle man rund 500.000 Liter Wasser aus Malta nach Tripolis bringen. Auf Bitten des Nationalen Übergangsrates in Libyen hin sollen darüber hinaus 250.000 Tonnen Benzin auf den Weg gebracht werden, um mit Hilfe von Generatoren die Wasser- und Stromversorgung sicherstellen zu können. (dapd/KNA)