US-Armee hat Nummer zwei des Terror-Netzwerks getötet. Informationen kamen aus Bin Ladens Unterlagen

Hamburg. Die Insassen des Wagens, der gerade das Dorf Norak in der pakistanischen Bergregion Nordwaziristan passierte, ahnten nicht, dass hoch über ihnen ein stählerner Todesengel schwebte - elf Meter lang, fast fünf Tonnen schwer, mit einer Flügelspannweite von gut 20 Metern. Und bewaffnet mit Flugkörpern, die sinnigerweise den Namen "Höllenfeuer" tragen. Zwei dieser Raketen schlugen in das Auto ein und verwandelten es in einen Feuerball. An diesem Tag, dem 22. August, berichtete ein pakistanischer Regierungsbeamter dem US-Sender ABC News, dass bei einem Drohnenangriff in Norak im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet drei Militante ums Leben gekommen waren.

Erst gestern wurde klar, wem diese Attacke gegolten hatte: der einflussreichen Nummer zwei des Terrornetzwerks al-Qaida, Atiya Abd al-Rahman. Sein Tod durch eine Kampfdrohne, wohl des Typs MQ-9 "Reaper" (Sensenmann", ferngesteuert von einem Experten auf der Creech-Luftwaffenbasis im US-Bundesstaat Nevada im Auftrag des Geheimdienstes CIA, stellt einen weiteren schweren Schlag für al-Qaida dar.

Erst vier Monate ist es her, dass Elitesoldaten der amerikanischen Navy SEALs das festungsartige Anwesen von Terrorfürst Osama Bin Laden in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad gestürmt hatte. Inzwischen weiß man, dass die Schattenkrieger entgegen ersten offiziellen Verlautbarungen den Auftrag hatten, Bin Laden umgehend zu erschießen. Washington wollte kein Risiko eingehen; eine Festnahme bei der mit Pakistan nicht abgestimmten Kommandoaktion war nie vorgesehen gewesen. Bei der eiligen Durchsuchung des mehrstöckigen Anwesens waren den US-Soldaten Computer, Datenträger und anderes Material in die Hände gefallen. Und dieses Material lieferte Hinweise auf jenen Mann, auf dessen Kopf das US-Außenministerium eine Million Dollar ausgesetzt hatte. Der 43-jährige Atiya Abd al-Rahman war der operative Kopf des Terrornetzes. Die Daten von Abbottabad zeigten, dass der Libyer an der Planung etlicher Terroranschläge in den USA und Europa beteiligt war - und wo er zu finden sein könnte.

"Rahman war im Nervenzentrum der globalen Terroroperationen al-Qaidas", sagte Noman Benotman dem US-Sender CNN. Benotman, ebenfalls ein Libyer, ist ein ehemaliger islamistischer Dschihadist, der mit Rahman, Bin Laden und anderen Al-Qaida-Fürsten gut bekannt war. Heute ist er leitender Analyst bei der britischen Quilliam-Stiftung, die sich auf den Anti-Terrorkampf spezialisiert hat. "Rahman war al-Qaidas CEO (Vorstandsvorsitzender) geworden - und der Einzige, auf den das Netzwerk nicht verzichten kann", sagte Benotman. Nach seiner Ansicht war Rahman einer der brillantesten Terrorplaner al-Qaidas; er sei mit Bin Ladens Nachfolger, dem ägyptischen Arzt Ayman al-Zawahiri, gerade dabei gewesen, eine neue Strategie auszuarbeiten. Dabei sei es darum gegangen, das Verhältnis von al-Qaida zu seinen Ablegern in aller Welt neu zu ordnen, um eine neue, schlagkräftige ideologische Botschaft und darum, wie man die Entwicklung im auseinanderfallenden Staat Jemen für die Dschihadisten noch besser ausnutzen könne. Noman Benotman kannte Rahman damals noch unter seinem richtigen Namen Jamal al-Shitaywi.

"Die Kombination aus Hintergrundwissen, Erfahrung und Fähigkeiten bei Rahman waren einmalig bei al-Qaida", sagte ein US-Regierungsbeamter ABC News.

Der Libyer soll jener Atiya gewesen sein, der im Jahre 2005, während des US-Einsatzes im Irak, mit einem deutlichen Warnbrief den dortigen Al-Qaida-Chef Abu Musab al-Zarkawi daran hindern wollte, weiterhin mit bestialischen Methoden vorzugehen. Der Jordanier Zarkawi war verantwortlich für zahlreiche Anschläge mit Hunderten irakischen und amerikanischen Todesopfern und hatte unter anderem die amerikanischen Geiseln Nicholas Berg, Eugene Armstrong und Jack Hensley vor laufender Videokamera mit einem Messer enthauptet. Zarkawis unglaubliche Brutalität schadete al-Qaida in der arabischen Welt. Am 7. Juni 2006 wurde er bei einem US-Angriff getötet.

Rahman hatte Erfahrungen mit derartigen Leuten - er war von seinem alten Weggefährten Bin Laden, mit dem er in Afghanistan gekämpft hatte, in den 90er-Jahren als Verbindungsmann zu der ähnlich gewalttätigen algerischen Terrorgruppe GIA geschickt worden. Doch die GIA misstraute ihm, hielt ihn fünf Monate lang unter unsäglichen Umständen gefangen und wollte ihn hinrichten. Rahman gelang die Flucht, doch psychisch erholte er sich nach eigenen Aussagen nie mehr davon.

Bin Laden machte ihn dann zum Beauftragten für den Iran, wo er neue Rekruten werben sollte. Die amerikanische Regierung verdächtigt den Iran sogar, die Aktivitäten Rahmans unterstützt zu haben. Anders als Zarkawi, der Schiiten hasste und ermordete, wollte der Sunnit Bin Laden eine gemeinsame Kriegsfront aus Sunniten und Schiiten gegen den Westen aufbauen.

Spätestens nach Bin Ladens Tod verlegte Rahman seinen Sitz aber wieder nach Waziristan und übernahm dann al-Sawahiris alte Position als Nummer zwei des Terrornetzwerks al-Qaida. Wie der "Spiegel" im Mai berichtet hatte, soll Rahman auch jene drei Mitglieder der Düsseldorfer Terrorzelle von Pakistan aus geführt haben, die mit einer Splitterbombe in Deutschland ein Blutbad anrichten wollten.