IWF-Chefin muss sich gegen den Vorwurf wehren, beim Adidas-Verkauf Steuergeld veruntreut zu haben

Paris/New York. Angeblich war alles ganz sicher. Denn angeblich war alles zumindest im Hintergrund geklärt. Als Christine Lagarde zur ersten Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) berufen wurde, glaubten ihre Unterstützer in Europa, dass die Pariser Justiz die renommierte Politikerin nicht vor Gericht zerren würde. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy werde sich vorher schon rückversichert haben, dass der früheren Anwältin kein Prozess drohe, hieß es damals auch in Berlin, wo man die Französin unterstützte. Pustekuchen.

Gut einen Monat nach Lagardes Berufung auf den Posten der weltweit wichtigsten Finanzinstitution hat der französische Gerichtshof der Republik, ein Sondergericht für Regierungsmitglieder, ein Ermittlungsverfahren gegen sie angeordnet. Der Grund: 2008 - in ihrer Zeit als Wirtschafts- und Finanzministerin - hat sie dafür gesorgt, dass der Geschäftsmann Bernard Tapie in einem Schiedsverfahren gegen eine staatliche Bank eine Millionenentschädigung kassiert hat, weil das Geldhaus ihn beim Verkauf von Adidas in den 90er-Jahren übervorteilt haben soll. Ein Staatsanwalt verdächtigt Lagarde daher nun des Amtsmissbrauchs.

Aufsehenerregend ist der Fall schon ohne die Begleitumstände von Lagardes Wechsel aus Paris nach Washington. Es geht um eine der ganz großen Wirtschaftsgeschichten Frankreichs. Tapie gilt als eine schillernde Persönlichkeit. Der frühere Schauspieler - damals auch Besitzer des Sportklubs Olympique Marseille - hatte Adidas 1990 von der Gründerfamilie Dassler gekauft. Als er zwei Jahre später Städtebauminister wurde, beauftragte er die damals staatliche Bank Crédit Lyonnais mit dem Weiterverkauf des Unternehmens aus Herzogenaurach. Heimlich war die Bank aber an der Käufergruppe beteiligt und machte bei dem Verkauf daher selbst einen dicken Gewinn von 229 Millionen Euro. In einem Schiedsverfahren, das Lagarde aus Sicht der Strafverfolger nie hätte zulassen dürfen, erhielt Tapie dann 285 Millionen Euro plus Zinsen als Schadenersatz. Lagarde hätte ein Berufungsgericht anrufen müssen, so die Ermittler. Das hatten ihr damals auch die Berater im Ministerium empfohlen.

Seit Langem sind diese Vorwürfe bekannt. Und ursprünglich sollte über die Eröffnung der Ermittlungen auch vor Lagardes Kandidatur für den IWF-Posten entschieden werden. Denn jedem in Europa war klar, eine angeschlagene IWF-Chefin mitten in der größten Schuldenkrise des Kontinents kann sich die Euro-Zone nicht leisten. Als die Justiz in Paris sich damals aber nicht äußerte, gingen Beobachter davon aus, dass Sarkozy vor der Nominierung seiner Ministerin die Risiken hatte prüfen lassen. Dass er das nicht getan hat, schadet nicht nur Lagarde und Frankreich. Es schadet Europa.

Dabei sollte Lagarde für die Europäer als Amtsinhaberin in Washington so etwas wie die Heilsbringerin sein.

Einfach wäre ihre neue Aufgabe aber auch ohne Ermittlungsverfahren nicht. Lagarde folgt auf ihren Landsmann Dominique Strauss-Kahn. Der musste zurücktreten, weil ihm ein Zimmermädchen eines New Yorker Hotels eine versuchte Vergewaltigung vorgeworfen hatte. Tagelang saß er in Untersuchungshaft. Inzwischen ist er zwar wieder auf freiem Fuß, weil die Staatsanwaltschaf Zweifel an der Geschichte der Frau bekommen hat. Noch aber ist die Sache für Strauss-Kahn nicht beendet.

Doch nicht nur Strauss-Kahns sexuelle Eskapaden machen es für Lagarde schwer. Europas schwierige Lage als Bettelkandidat beim IWF schwächt den Stand der EU. Lautstark wie nie hatten sich die Schwellenländer gegen die Europäer positioniert, als es um den Posten des neuen IWF-Chefs ging. "Nur mit einer überzeugenden Kandidatin haben wir eine Chance gegen Chinas, Brasiliens und Indiens Ansprüche", hieß es damals in Berliner Regierungskreisen. Lagarde galt als solche - unter einer Bedingung: Sie startet nicht mit dem Makel eines Ermittlungsverfahrens.

Jetzt ist es zu spät. Die Europäer müssen an Lagarde festhalten und somit fürchten, dass Frankreichs Justiz die Frau in einem quälend langen Ermittlungsverfahren demontiert - ausgerechnet jetzt, wo die Euro-Zone jede Hilfe des IWF gebrauchen kann. Denn längst mehren sich gerade unter den Vertretern der Schwellenländer im IWF die Stimmen, die die Rettungspakete für die Euro-Zone kritisieren. Da hilft es auch nicht, dass Lagardes Anwalt Yves Repiquet von "politisch motivierten Vorwürfen" der Opposition spricht, die Lagarde definitiv aus der Welt wird räumen können. Washington ist nicht Paris. Dort wird moralisch mit anderem Maßstab gemessen. Das hat man im Fall Strauss-Kahn gesehen. Für Europa kann das zu einem Problem werden.

Und Jean-Marc Ayrault, Vorsitzender der sozialistischen Abgeordneten in der Nationalversammlung, meint, dass die Einleitung des Ermittlungsverfahrens das "Durcheinander" von Interessen an der Spitze des Staates zeige. "All das zeigt die Vermischung der politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Interessen, die seit der Wahl von Nicolas Sarkozy herrscht", sagte er.