Proteste in Washington gegen die Finanzpolitik der Regierung. Der Zauber von “Yes, we can“ ist nach dem Kompromiss weitgehend verblasst.

Washington. Wer beim Amtsantritt von Barack Obama vor zweieinhalb Jahren am lautesten "Yes, we can!" rief, mault nach dem Schuldendeal am meisten. "Das ist eine Kapitulation vor dem radikalen Rand der Republikaner", wettert etwa der demokratische Senator Robert Menendez. Die Konservativen, obwohl nur im Abgeordnetenhaus im Besitz der Mehrheit, scheinen die großen Gewinner des wochenlangen Washingtoner Schuldengezerres zu sein. Steuererhöhungen schmetterten sie ab, Einsparungen gehen komplett zulasten von Mittelschicht und Armen. Auch im Lager der Demokraten wird inzwischen immer lauter gefragt, ob Obama noch alles im Griff hat.

Das Ergebnis der Abstimmung im US-Repräsentantenhaus in der Nacht zum Dienstag hätte im Tenor klarer nicht sein können, was die Parteigänger des Präsidenten von dem Kompromiss halten. 95 Demokraten stimmten dagegen, 95 dafür - Geschlossenheit sieht anders aus. Gestern stimmte auch der Senat für das Abkommen von Demokraten und Republikanern - wenige Stunden vor Fristablauf. 74 Senatoren waren für den Kompromiss, 26 stimmten dagegen. Am Abend unterzeichnete US-Präsident Obama das Gesetz zum Schuldenkompromiss. Damit ist die drohende Zahlungsunfähigkeit der USA abgewendet. Ohne eine Einigung wäre Washington offiziell pleite gewesen.

"Der vereinbarte Deal ist politisch eine komplette Kapitulation der Demokraten", befindet William Gale vom renommierten Brookings-Politikinstitut in Washington. "Bei dem Paket geht es alleine um Ausgabenkürzungen, was die ursprüngliche Position der Republikaner war." In der Praxis bedeute das, "die Hauptlast zur Schließung der Lücke werden arme Haushalte und die Mittelschicht zu tragen haben, nicht Großverdiener oder Reiche". "Wenn er die Macht haben will, Wandel herbeizuführen, muss er sich auch für den Wandel einsetzen, den er anstrebt", sagt der frühere ranghohe Politikberater von Präsident Bill Clinton, William Galston, zur politischen Schlagkraft Obamas. "Ob er sich dafür entscheidet oder in der Lage dazu ist - ich weiß es nicht", sagt er der "Washington Post". Schlimmer noch: "Seine Präsidentschaft ist in Gefahr, und ich hoffe, es gibt Leute in seiner Umgebung, die ihm das auch sagen."

Andere sind vorsichtiger, was die verbliebene politische Potenz des Präsidenten angeht. Der Kompromiss mit den Republikanern, selbst wenn er wie eine Niederlage scheint, könnte wahlentscheidende parteiungebundene Wähler wieder ins Obama-Lager locken, spekuliert die "Washington Post". Denn während linke Demokraten ganz bestimmt nicht den Republikanern ihre Stimmen geben, haben die "Unabhängigen" mit der Rolle des Wechselwählers kein Problem. Sie waren auch mit die Ersten, die sich von Obama abwandten.

Im Weißen Haus meint man derweil, es seien vielmehr die Republikaner, die sich mit dem Schuldendeal einen Bärendienst erwiesen. "Kurzfristig leiden alle", sagt Obamas Top-Wahlkampfstratege David Axelrod. "Auf lange Sicht aber haben die Republikaner sich selber geschadet. Denn jetzt definieren sie sich völlig durch ihre schrillsten Stimmen", sagt er mit Blick auf die Tea-Party-Bewegung, deren Anhänger im Kongress einen knallharten Kurs setzten. Was sicher scheint: Das Gebalge von Demokraten und Republikanern ließ das Ansehen Washingtons bei vielen Wählern noch tiefer sinken. Bei einer landesweiten Umfrage nach einem einzigen Wort gefragt, das den Streit umschreibt, sagten zwei Drittel der Amerikaner schlicht: "Lächerlich".

Ein weiteres Damoklesschwert für Obama: der drohende Verlust der höchsten Stufe der Kreditwürdigkeit der USA als Folge des Politspektakels und der miesen Etatlage. "Die fundamentalen Voraussetzungen für eine Herabstufung (durch Rating-Agenturen) sind gegeben", sagt US-Wirtschaftsexperte Uri Dadush. Als Konsequenz drohen höhere Zinsen - böses Gift für die schwächelnde US-Konjunktur und ihre hohe Arbeitslosigkeit.

Ein Sprecher der Rating-Agentur Fitch bestätigte gestern, dass der Schuldenkompromiss den USA kurzfristig weiterhin die Top-Bewertung "AAA" sichere. Nach Abschluss ihrer Überprüfungen Ende August könnte die Rating-Agentur die Bonität Washingtons aber möglicherweise herabstufen. Kommt die weltgrößte Volkswirtschaft nicht bald in Schwung, dürfte der Wind Obama noch steifer ins Gesicht wehen.