Die türkische Regierung tritt Ängsten vor Führungskrise vehement entgegen

Istanbul. Nach dem geschlossenen Rücktritt der Armeespitze ist in der Türkei ein Machtkampf zwischen Streitkräften und Regierung entbrannt, aus dem die Armee nach jüngsten Entwicklungen als Verlierer hervorgehen dürfte. Präsident Abdullah Gül versuchte am Wochenende die Wogen zu glätten und vor allem das Ausland zu besänftigen. "Alles geht seinen geregelten Gang. Wie Sie sehen, gibt es kein Machtvakuum", sagte Gül nach Angaben des Senders CNN Turk. Der Rücktritt der Militärführung habe keine Auswirkungen auf die Stabilität des Nato-Landes. Dennoch sprach Gül von einer "außergewöhnlichen Situation".

Ministerpräsident Tayyip Erdogan könnte Experten zufolge gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen und den entscheidenden Sieg über die Generalität erringen, die die Politik seiner islamisch-konservativen AKP-Partei seit Jahren mit Misstrauen beäugt. Nachfolger des zurückgetretenen Generalstabschefs Isik Kosaner dürfte der bisherige Kommandeur der Militärpolizei, General Necdet Özel, werden. Ihn beförderte Erdogan zum Oberkommandierenden des Heeres und stellvertretenden Generalstabschef.

Erdogan will die Führungskrise schnell beenden. Heute tagt turnusgemäß der Oberste Militärrat, der zweimal im Jahr zusammenkommt, um wichtige Personalentscheidungen zu fällen. Das Treffen soll wie geplant über die Bühne gehen, wie Erdogans Büro ankündigte. Experten zufolge hat er nun die Chance, an der Militärspitze Offiziere zu installieren, die seiner Partei mehr gewogen sind.

"Niemand sollte dies als irgendwie geartete Krise oder anhaltendes Problem in der Türkei sehen", sagte Gül mit Blick auf den geschlossenen Rücktritt. Kosaner sowie die Chefs von Heer, Luftwaffe und Marine hatten am Freitag ihren Rücktritt angeboten. Kosaner begründete seine Entscheidung mit den Worten, er habe ihm untergebene Offiziere nicht vor einer Strafverfolgung wegen angeblicher Umsturzpläne schützen können. Die Zeitung "Milliyet" zitierte aus einer Erklärung Kosaners, wonach derzeit insgesamt 173 Generäle und andere Militärangehörige wegen des Vorwurfs der Verschwörung gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Haft seien. Er hatte seinen Posten erst vor einem Jahr angetreten.

Das einstmals mächtige türkische Militär versteht sich als Hüter des säkularen Erbes von Staatsgründer Kemal Atatürk. Es hat in den vergangenen 50 Jahren mehrfach Regierungen gestürzt. Erdogan setzte mit einer Reihe von Reformen dieser Dominanz ein Ende. Ziel war unter anderem, damit die Chancen für einen Beitritt zur Europäischen Union zu verbessern. Die Beziehungen des Militärs zu Erdogans islamisch geprägter konservativer Partei AKP sind seit deren erstem Wahlsieg im Jahr 2002 angespannt. Bei der Parlamentswahl im Juni hatte die AKP ein drittes Mal gewonnen und sich 50 Prozent der Stimmen gesichert.