Anders Breivik soll bei seinem Prozess jeden einzelnen Mord erklären. Die Polizei stellt die Suche nach Überlebenden des Massakers auf Utøya ein

Berlin. Auf Utøya wird es wieder etwas stiller werden. Die norwegische Polizei hat die Suche nach weiteren Leichen an Land der kleinen, kiefernbewachsenen Insel im Tyrifjord rund 40 Kilometer westlich von Oslo eingestellt. 68 Menschen, die meisten davon Teenager, die hier an einem Sommercamp der Sozialdemokraten teilnahmen, hat der rechtsextreme Anders Behring Breivik vor einer Woche erschossen. Das jüngste Opfer des Massakers soll erst 14 Jahre alt gewesen sein. Wie viele Vermisste es noch gibt, sagte die Polizei nicht. Die Suche konzentriert sich jetzt auf das Wasser.

Jeden einzelnen der 68 Morde auf Utøya und den Tod jener acht Menschen, die bei der Explosion von Breiviks selbst gebauter Bombe im Osloer Regierungsviertel ums Leben gekommen sind, wird der 32-jährige Diplomatensohn bei seinem Prozess erklären müssen. "Aus Respekt vor den Toten und die Angehörigen muss der Täter für jede einzelne Tötung Rechenschaft ablegen", sagte Norwegens Generalstaatsanwalt Tor-Aksel Busch Doch erst 2012 wird es wohl so weit sein. Die Staatsanwaltschaft wird Monate für die Ausarbeitung der Anklageschrift brauchen. "Ich hoffe, die Leute haben Verständnis dafür", sagte Busch.

Der Prozess dürfte einer der kompliziertesten in der Geschichte des Landes werden. Denn das Verfahren stelle auch entsprechende Anforderungen an die Beweisführung, betonte Busch. Anklage könne nicht vor dem Jahreswechsel erhoben werden. Der Generalstaatsanwalt bestätigte Überlegungen, dass Breivik möglicherweise wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" angeklagt wird. Das würde eine Verurteilung zu 30 Jahren Haft ermöglichen, während bei dem vor dem Haftrichter angewandten Terrorparagrafen eine Verurteilung zu maximal 21 Jahren Haft möglich wäre. "Wir prüfen das natürlich sehr genau." Der Anwalt Brynjar Meling, der viele Eltern vertritt, die ihre Kinder bei dem Massaker verloren haben, setzt auf einen Prozessbeginn im Herbst. In jedem Fall wird Breivik bis zum Start des Verfahrens in Untersuchungshaft bleiben. Derzeit sitzt er in einer Sieben-Quadratmeter-Zelle und wird überwacht - 24 Stunden am Tag, damit er keinen Selbstmord begeht. Mit einem weiteren Verhör am heutigen Freitag will die Polizei ausschließen, dass es weitere Anschläge geben könnte. Die Behörden gehen nach wie vor jedoch nicht von einem Komplizen aus.

Rund 1000 Kilometer südwestlich, in Belgiens Hauptstadt Brüssel, wurden gestern sicherheitspolitische Lehren aus dem Anschlag in Oslo gezogen. So wollen die 27 EU-Staaten künftig den Zugang zu solchen Chemikalien beschränken, aus denen Sprengstoff hergestellt werden könnte. Die Grundlage von Breiviks Bombe war ein Düngemittel gewesen. Die Anti-Terror-Experten und EU-Diplomaten diskutierten auch über strengere Regeln für den Waffenkauf. Zudem soll ein europaweites Netzwerk an Psychologen und Fahndern künftig Einzeltäter wie den Attentäter von Oslo möglichst früh aufspüren. "Das Phänomen des ,einsamen Wolfs' - eines radikalisierten Täters ohne Bezug zu einer terroristischen Organisation - muss mehr Aufmerksamkeit bekommen", hieß es nach dem Treffen. Feste Beschlüsse wurden aber nicht gefasst. Die Beamten bereiteten den Weg für die EU-Innenminister, die sich am 22. September zum nächsten Mal treffen werden. Nach den Anschlägen hatten sie die Themen Fremdenhass und Extremismus kurzerhand auf die Tagesordnung gesetzt.

Auf Utøya werden jetzt weiter Beweise gesichert. Später soll die Insel zunächst ausschließlich für die Angehörigen der Opfer geöffnet werden und diejenigen, die überlebt haben und um ihre Freunde trauern wollen. Auch ein Mahnmal ist geplant. Und dann, irgendwann in der Zukunft, soll es auch wieder Sommercamps für Jugendliche auf Utøya geben. Als demonstratives Zeichen und Symbol. "Was Breivik auf der Insel getan hat, war ein Anschlag auf die Demokratie und auf die Meinungsfreiheit", sagte der Parteisekretär der Sozialdemokraten, Raymond Johansen. "Die Insel zu schließen würde ihn - und nicht uns - zum Sieger machen."