Streit über schärfere Internetkontrollen entbrannt. Attentäter erwog Angriff auf deutsche AKW

Hamburg. Nach den Anschlägen in Norwegen werden in Deutschland Rufe nach einem schärferen Vorgehen gegen Neonazis laut. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles verlangte gestern den Einsatz von mehr Polizeibeamten, um die rechtsextremistische Szene im Internet zu beobachten. Zudem müssten Voraussetzungen für ein NPD-Verbot geschaffen werden, sagte sie der "Rhein-Zeitung".

Der Vizechef der Europäischen Christdemokraten im Europa-Parlament, Manfred Weber, sprach sich für eine europäische Offensive gegen politische Extremisten im Internet aus. "Extremistische Webseiten müssen europaweit gebannt werden", sagte der CSU-Politiker der "Rheinischen Post". Bisher gebe es nur Verabredungen zwischen den EU-Staaten in Bezug auf islamistische Internetseiten.

Migrantenverbände riefen die Bundesregierung zum Handeln auf. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) solle einen "Präventionsgipfel zum Thema Islamophobie" einberufen, schlug der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, vor. Notwendig sei auch ein NPD-Verbot.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rief Internetnutzer zur Mithilfe auf, um solche Attentate künftig zu verhindern. Gewerkschaftschef Bernhard Witthaut appellierte an Nutzer von Blogs und Internetforen, "eher zum Hörer zu greifen und die Polizei zu informieren", wenn jemand mit extremistischen Parolen auffalle. Dass nach den Anschlägen von Norwegen aus der CSU direkt die Forderung nach der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung komme, kritisierte Witthaut aber als unangebracht. Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) lehnte eine neue Sicherheitsdebatte ab.

Deutsche Ermittler befassen sich nach wie vor mit dem Fall: Der Attentäter Anders Behring Breivik hatte sein 1500-Seiten-Pamphlet als Datei auch an deutsche Internetadressen verschickt. "Die werden jetzt natürlich überprüft", sagte der Chef des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts (LKA), Wolfgang Gatzke, gestern in Düsseldorf. Die E-Mails gingen laut "Tagesspiegel" auch nach Deutschland - unter anderem an die NPD-Zentrale in Berlin sowie an Mail-Adressen der Partei in Erfurt, Aschaffenburg und Unna. Weitere Empfänger seien Gruppierungen wie der "Nationale Widerstand Dortmund", die "Autonomen Nationalisten Ostfriesland" und die rechtspopulistische Partei "Bürger in Wut" gewesen, die mit einem Sitz in der Bremischen Bürgerschaft vertreten ist.

Bei den Rechtsextremen herrsche aber die Einschätzung vor, dass es "nicht in Ordnung" gewesen sei, Jugendliche als Ziel des Terroranschlags auszuwählen, sagte Gatzke. In seinem Manifest nennt Breivik nicht nur Ölraffinerien, sondern auch Atomreaktoren als ein mögliches Ziel von Attentaten - auch in Deutschland. Dafür sollten sich mehrere Selbstmordattentäter beispielsweise als Feuerwehrleute verkleiden, um auf das Gelände zu kommen und ihre Bomben zu zünden, schreibt Breivik. Er hatte sich bei dem Attentat auf Utøya selbst als Polizist verkleidet. Als "Target Countries", also als Zielländer für diese Aktion, nennt der Verfasser unter anderem Deutschland - und zählt alle hiesigen Meiler auf, darunter Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel. An anderer Stelle fordert Breivik zu Anschlägen auf Parteiveranstaltungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien auf.

Wie aus dem Kompendium hervorgeht, kam Breivik im August vergangenen Jahres offensichtlich auch nach Deutschland. Er setzte nach eigenen Angaben mit der Autofähre von Oslo nach Kiel über und fuhr direkt nach Prag, in der Hoffnung, dort Waffen kaufen zu können. "Ich wollte eigentlich versuchen, eine Verbindung zu den Hells Angels entweder in Prag, Berlin oder Kopenhagen einzurichten", berichtet er. Nachdem seine Versuche erfolglos geblieben waren, kehrte er frustriert zurück und beantragte offiziell die Genehmigung zum Erwerb eines Gewehrs und einer Pistole.