Ministerpräsident findet in der Trauer die richtigen Worte. Er setzt auf mehr Menschlichkeit

Oslo. Auch vor 200 000 trauernden Landsleuten am Osloer Rathaus hat Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg die richtigen Worte gefunden: "Das Meer an Menschen hier vor mir und die Wärme, die ich aus dem ganzen Land spüre, machen mich ganz sicher: Norwegen besteht diese Prüfung." Die Menschen klatschten oder reckten Rosen zum Zeichen des Einverständnisses in die Luft. Genau das war es wohl, was sie als Brücke zur Rückkehr in den Alltag brauchten.

Entscheidendes für diese beispiellose Reaktion eines ganzen Landes hatte Stoltenberg schon in den ersten Stunden nach den Terroranschlägen geleistet. Obwohl ein Massenmörder unfassbar viele Jugendliche aus seiner sozialdemokratischen Partei getötet hatte, obwohl er selbst im Regierungsviertel Ziel eines gewaltigen Bombenanschlags war, sprach der 52-Jährige doch von Beginn an über mehr Offenheit, Menschlichkeit und Demokratie als Antwort auf die Gewalt. Nie aber von härteren Strafen, mehr Polizei oder Vergeltung.

Damit gab er einen Ton vor, den die knapp fünf Millionen Bürger dankbar aufnahmen. Dabei hätte der 2005 ins Amt gekommene Regierungschef persönlich allen Grund gehabt, anders zu reagieren. Er hat zwei Kinder in dem Alter wie die 68 jugendlichen Opfer des Attentäters. Auch Stoltenbergs eigenes Büro im obersten Stockwerk des Regierungshochhauses wurde von der 500-Kilo-Autobombe des Attentäters zerstört. Und der Regierungschef kannte etliche Opfer des Massakers im Sommerlager auf Utøya persönlich.

Seit Montag arbeitet er provisorisch im Gästehaus der Regierung unweit des Königsschlosses. Stoltenberg war seit dem Wochenende praktisch ohne Pause unterwegs, um Trost zu spenden und Mut zu machen. Spezielle Grüße von US-Präsident Barack Obama überbrachte er den Feuerwehrleuten der Osloer Hauptwache, die am Freitag Großes geleistet hatten: Sie waren sofort zur Stelle, obwohl die Bombe des Massenmörders auch die Ausfahrt für die Einsatzwagen blockiert hatte.

Bei der Feuerwehr wirkte Stoltenberg mit den Obama-Grüßen dann auch einfach mal froh nach all den Schrecken, wie im TV-Sender NRK zu sehen war. "Grüß ihn zurück", sagte einer der Feuerwehrmänner dem Regierungschef. "Jens", wie ihn in Norwegen jeder nennt, antwortete: "Mach ich, wenn ich ihn das nächste Mal sehe."

Stoltenberg schaffte vor zwei Jahren als erster Regierungschef seit 1993 die Wiederwahl. Seiner lange kränkelnden Arbeiterpartei bescherte er mit 35,4 Prozent ein Ergebnis, das sie ebenfalls über anderthalb Jahrzehnte nicht mehr geschafft hatte. "Jens, vi kæn!", hatten die Anhänger mit leicht selbstironischen Anleihen bei US-Präsident Barack Obama skandiert.

Damit trat Jens endgültig aus dem Schatten seines in Norwegen sehr populären Vaters Thorvald Stoltenberg, der Außenminister und Uno-Flüchtlingskommissar war.