Der 32-Jährige, der im Jugendcamp um sich schoss, soll vorher in Oslos Innenstadt gewesen sein. Jungen und Mädchen sprangen in Panik ins Wasser.

Oslo. Erst eine gewaltige Explosion im Regierungsviertel und dann ein Amoklauf gegen Jugendliche : Der tödliche Terror trifft Norwegen völlig überraschend und mitten in der Ferienzeit. Als am Freitagnachmittag gegen 15.20 Uhr das Osloer Regierungshauptquartier von einer gewaltigen Bombenexplosion erschüttert wird, ist die halbe Hauptstadt auf dem Land oder in südlicheren Gefilden.

Wenig später die nächste entsetzliche Meldung aus einem Ferienlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF: Ein als Polizist verkleideter Mann feuert auf der kleinen See-Insel Utøya westlich der Hauptstadt Schüsse auf die Jugendlichen ab. Bilanz beider Attacken: Mindestens 91 Menschen sterben, viele weitere werden verletzt.

Polizeisprecher Erik Sem-Jacobsen sagt im TV-Sender NRK: "Wir gehen davon aus, dass zwischen beiden Taten ein Zusammenhang besteht." Die Polizei glaubt, dass der auf der Insel festgenommene Mann Stunden zuvor in Oslo gesehen wurde. Am späten Abend gibt die Regierung bekannt: Bei dem Festgenommenen handelt es sich um einen Norweger. Auf der Insel wird auch nicht detonierter Sprengstoff gefunden.

Für die Bewohner des Landes, die bis dahin in friedlicher Ferienstimmung den Sommer genießen, sind es Bilder wie aus einem fürchterlichen Albtraum: In ihrer Hauptstadt irren blutende Verletzte durch die Straßen des Regierungsviertels. Die Fensterfront des Hochhauses mit dem Büro von Ministerpräsident Jens Stoltenberg ist fast völlig zerstört. Kurz nach dem Anschlag steht fest, dass mindestens sieben Menschen der Bombe zum Opfer gefallen sind. Im Ulleval-Krankenhaus werden mehrere Verletzte behandelt.

Die Polizei fürchtet nach der Detonation, dass möglicherweise noch weitere Bomben in der Innenstadt platziert sein könnten. Erst sperrt sie die Umgebung des Regierungsviertels weiträumig ab, dann lässt sie auch den Hauptbahnhof räumen.

In dem Hochhaus mit Stoltenbergs Büro im obersten Stockwerk sind mehrere Ministerien untergebracht. Das Erdgeschoss sei "wie weggeblasen", heißt es in einem Augenzeugenbericht.

Noch während die Polizei auch den Osloer Hauptbahnhof evakuiert, kommt die zweite schreckliche Nachricht von einer kleinen Insel westlich der Hauptstadt: Ein als Polizist verkleideter Mann schießt plötzlich auf Jugendliche, die Ferien machen. Er tötet nach Polizeiangaben mindestens zehn Menschen. Stoltenberg wollte das von der Jugendorganisation seiner Sozialdemokratischen Partei organisierte Feriencamp an diesem Sonnabend besuchen.

Der Täter habe "wild um sich geschossen", berichten Augenzeugen. Zu Tode verängstigte Jugendliche springen ins kalte Wasser, um sich ans Festland zu retten. Andere verschicken in Todesangst Twitter-Mitteilungen: "Es geht uns gut, wir müssen abwarten. Aber jetzt wird wieder geschossen." War es internationaler Terrorismus oder ein norwegischer Wirrkopf? Am späten Abend gilt Letzteres als die wahrscheinlichere Variante. Dennoch herrscht Ratlosigkeit in Oslo über die möglichen Motive. Der 32 Jahre alte Festgenommene schweigt sich im Verhör darüber zunächst aus. Unklar ist nach Angaben der Polizei auch, ob er alleine handelte oder Mittäter hatte.

Ist es Wut auf Norwegens Mitte-links-Regierung mit Stoltenberg an der Spitze, die auf eine liberale Ausländerpolitik und einen Dialog mit muslimischen Zuwanderern setzt? Der Ministerpräsident beschwört nach den Terrorangriffen den Zusammenhalt im Land. Er habe eine Botschaft an die Täter, sagte der Regierungschef in einer Pressekonferenz: "Ihr werdet unsere Demokratie und unser Engagement für eine bessere Welt nicht zerstören." Niemand könne Norwegen "zum Schweigen schießen", das Land werde nicht aufhören, zu seinen Werten zu stehen.

Islamistische Anschläge hatte es in Norwegen bislang nicht gegeben. 2010 gelang es norwegischen Ermittlern, eine Terrorzelle aufzuspüren. Drei Islamisten - ein Iraker, ein Usbeke und ein chinesischer Uigure - wurden in Norwegen und Deutschland festgenommen. Sie hatten offenbar Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida. Für islamistische Terroristen gibt es zwei mögliche Gründe für einen Anschlag auf Oslo. Das Nato-Mitglied Norwegen ist am Afghanistaneinsatz beteiligt - und norwegische Medien haben die sogenannten Mohammed-Karikaturen nachgedruckt.