Die Parteichefin der Sozialisten will 2012 den schwächelnden Nicolas Sarkozy beerben

Paris. Mit Trikolore und Europaflagge war der Bahnhof von Lille für den Auftritt von Martine Aubry präsidial geschmückt: Gestern erklärte die Chefin der sozialistischen Partei nach monatelangen Spekulationen, dass sie die erste französische Staatspräsidentin werden will. Damit stieg die als glanzlos, aber intelligent geltende 60-Jährige auf einen mit hochkarätigen Kandidaten besetzten Zug zu den Vorwahlen. Manch einer beschrieb sie bereits als Angela Merkel der französischen Linken.

Die französischen Sozialdemokraten sind den Überlegungen ihrer deutschen Schwesterpartei SPD einen Schritt voraus: Im Oktober sollen erstmals wie in den USA Parteimitglieder und Sympathisanten den Spitzenkandidaten wählen, der die Partei ins Rennen um den Élysée-Palast führen soll.

Dort steckt der konservative Amtsinhaber Nicolas Sarkozy, 61, schon länger in einem Umfragetief. So wittern mehrere Sozialisten ihre Chance: Neben Aubry bewerben sich auch die Präsidentschaftskandidatin der letzten Wahl, Ségolène Royal, 60, sowie deren ehemaliger Lebensgefährte und Vorgänger Aubrys als Parteichef, François Hollande. Der 57-Jährige gilt wie Aubry als wenig präsidial. In Aubrys Stadt Lille im Norden des Landes sagt ein Passant: "Sie ist eine tolle Bürgermeisterin - aber eine Staatspräsidentin?" In den Umfragen liegt Hollande vor Aubry.

In einer Kampfabstimmung setzte sie sich 2008 als Parteivorsitzende durch - gegen Ségolène Royal. Anfang der Neunzigerjahre war die Tochter des langjährigen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors französische Arbeitsministerin. In der Zeit führte sie gemeinsam mit dem bisher einzigen sozialistischen Präsidenten François Mitterrand die 35-Studen-Woche ein.

In den Umfragen für die Präsidentschaftswahlen führte bis vor Kurzem der ehemalige Chef des internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn. Mit ihm hatte Aubry abgemacht, nicht gegeneinander zu kandidieren. Nach den Vergewaltigungsvorwürfen scheidet Strauss-Kahn als Präsidentschaftskandidat nun aus. Neben den Spitzenpolitikern bewerben sich auch einige jüngere sozialistische Politiker um die Kandidatur. Die Pariser Zeitung "Libération" sieht die Vorwahlen für die französischen Sozialisten als "Stunde der demokratischen Wahrheit", die entweder in einen schlimmen Bruderkampf führen oder zahllose Franzosen für Debatten über Schulen, Steuern und Arbeitsmarkspolitik begeistern könnte.

Die Präsidentschaftswahlen 2012 werden in Frankreich mit besonderer Spannung erwartet, da auch kleineren Parteien Chancen auf die entscheidende Stichwahl in der zweiten Runde zugetraut werden.