Auch Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe wurde nicht überprüft. Öffentlicher Dienst der Ost-Bundesländer ist Heimstatt für ehemalige Stasi-Spitzel.

Potsdam. Manche nennen das Bundesland spöttisch "kleine DDR", weil sich hier auch 20 Jahre nach Wende und Wiedervereinigung hartnäckig alte Seilschaften und Gewohnheiten halten. Tatsächlich hat sich Brandenburg anders als andere ostdeutsche Länder nicht umfassend mit der Stasi-Vergangenheit von Regierungs- und Parlamentsmitgliedern auseinandergesetzt. Zu diesem Ergebnis kommen die Wissenschaftler Gisela Rüdiger und Hanns-Christian Catenhusen in einem Gutachten für die Enquete-Kommission des Landtags zur Aufarbeitung der Nachwendezeit.

Das Gremium setzte sich am Freitag mit dem fast 130 Seiten umfassenden Werk auseinander. Der Landtag hatte Anfang der 90er-Jahre eine Kirchenkommission mit der Stasi-Überprüfung der Abgeordneten beauftragt. Die Prüfpraxis wurde nun für die Enquete-Kommission neu bewertet. Nach Ansicht der Gutachter hat der Brandenburger Landtag nach der Wende besonders wenig zur Aufdeckung der Stasi-Verstrickungen von Abgeordneten getan. Nach der ersten Legislaturperiode habe es gar keine Überprüfungen mehr gegeben. Erst das aktuelle Parlament habe wieder eine Stasi-Abfrage beschlossen. Das werde dazu beitragen, wieder Vertrauen herzustellen.

Die Gutachter kommen auch zu dem Schluss, dass die Einordnung von zwölf Abgeordneten des ersten Parlaments als Grenzfälle nicht den Vorgaben der Stasi-Überprüfung entsprochen habe. Bei Grenzfällen war damals keine Empfehlung zur Mandatsniederlegung ausgesprochen worden.

Zudem kritisieren die Gutachter, dass der ehemalige PDS-Abgeordnete Heinz Vietze als ehemaliger 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam und trotz seiner Stasi-Kontakte nicht einmal im Abschlussbericht der Kirchenkommission zur Stasi-Überprüfung erwähnt worden sei. Dass Vietze 19 Jahre im Brandenburger Parlament saß - die meiste Zeit sogar in herausgehobener Position als parlamentarischer Geschäftsführer der PDS-Fraktion - spreche für die "unzureichende Selbstreinigung des Parlaments".

Auch der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) tauche in dem Abschlussbericht der Kirchenleute nicht auf, betonen Rüdiger und Catenhusen. Beide Wissenschaftler teilen die Auffassung der Stasi-Unterlagenbehörde, dass Stolpe ein wichtiger Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR gewesen sei. Seine innere Überzeugung, im Dienste der Kirche gearbeitet zu haben, sei nach den Kriterien der Stasi-Überprüfungen nicht relevant. Stolpe hatte Stasi-Kontakte als früherer Kirchenjurist eingeräumt, eine Spitzeltätigkeit jedoch vehement bestritten. Das Bundesverfassungsgericht untersagte im Jahr 2005 einem CDU-Politiker, Stolpe als IM zu bezeichnen.

Außerdem bemängeln die Experten, dass es in der Landesverwaltung seit 1990 kein zentral geregeltes Überprüfungsverfahren gegeben habe. Nur höchstens die Hälfte der Mitarbeiter des Landes sei überprüft worden. Besonders fragwürdig sei, dass es in der Staatskanzlei als Regierungszentrale nie eine umfassende Abfrage bei der Stasi-Unterlagenbehörde gegeben habe. Andere Ressorts wie das Innen- und das Justizministerium hätten zwar alle Mitarbeiter überprüft, jedoch sei letztlich zu milde mit bekannt gewordenen Stasi-Fällen umgegangen worden.

Der Sachverständige Helmut Müller-Enbergs sagte, der öffentliche Dienst in den ostdeutschen Ländern sei eine Heimstatt für ehemalige Stasi-Spitzel. Vor allem bei der Polizei seien viele ehemalige Stasi-Leute gehalten worden. Lehrer hingegen hätten schlechte Karten gehabt.