Doch trotz Millionen von Opfern verehren heute Neonazis in Russland den Mann, der ihr Volk auslöschen wollte

Hamburg. Heute vor 70 Jahren begann Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Am 22. Juni 1941 überschritten deutsche Truppen von der Ostsee bis zu den Karpaten die sowjetische Grenze. Für den Überfall hatte Hitler den Namen des Stauferkaisers Barbarossa gewählt. Er machte den Ostfeldzug auch zu einem Vernichtungskrieg. Bis in die Vororte von Leningrad und Moskau kam die Wehrmacht, dann wendete sich das Blatt. Als das blutige Ringen zu Ende war, beklagte allein die Siegermacht Sowjetunion etwa 26,6 Millionen Tote. Das waren mehr Opfer als in jedem anderen Land.

Umso absurder ist es, dass heute Zehntausende in Russland den Kriegstreiber Adolf Hitler verehren. Rassisten und Neonazis machen sich die krude Ideologie des Diktators zu eigen. Vor allem rund um Hitlers Geburtstag am 20. April machen Rechtsextremisten im größten Flächenstaat der Erde brutal Jagd auf Ausländer. Die Opfer sind meist Tagelöhner aus Zentralasien, kaukasische Gastarbeiter und Studenten aus Schwarzafrika. Viele Überfälle enden tödlich. Schuld sei auch die Regierung von Ministerpräsident Wladimir Putin, die den Jugendlichen keine Alternativen biete, sagt Alexander Brod vom Moskauer Büro für Menschenrechte. Beobachter werfen der Führung sogar vor, rechtsextreme Gruppen zu tolerieren. Die Polizei schaue bei Straftaten oft weg, während sie gegen regierungskritische Demonstranten hart vorgehe. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Sowa mindestens 37 Menschen wegen ihrer Hautfarbe umgebracht und 375 verletzt.

Die Rassisten brüsten sich in Internetvideos mit ihren grausamen Taten - und bekennen sich offen zu Hitler. Dabei zeigen sie Hakenkreuze und heben den Arm zum Hitlergruß, was in Russland nicht verboten ist. Auf Fahnen und T-Shirts tauchen immer wieder die SS-Runen oder die Zahl 88 auf - die steht für den achten Buchstaben im Alphabet: "Heil Hitler". Dabei schrieb Hitler in seinem Pamphlet "Mein Kampf" bereits in den 1920er-Jahren über einen Feldzug gegen die Sowjetunion: "Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland und die ihm untertanen Randstaaten denken."

Für die überwiegende Mehrheit der Historiker steht auch deshalb fest, dass der Überfall auf die Sowjetunion von langer Hand geplant war. Als Hitler 1933 an die Macht kam, ließ er rasch keinen Zweifel daran, dass im Gegenzug für "Lebensraum" Millionen Menschen "ausgewiesen" werden müssten. Der Vertrag mit dem Sowjetdiktator Josef Stalin vom August 1939 über die Aufteilung Europas - der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt - war für den "Führer" nur ein Schachzug, um Zeit zu gewinnen, wie auch der Historiker Rolf-Dieter Müller in seinem neuen Buch "Der Feind steht im Osten" schreibt.

Die These, dass Hitler einen Präventivkrieg führte, um einem bevorstehenden Angriff zuvorzukommen, sei nicht zu halten, sagen Historiker. Stalin war vom deutschen Überfall überrascht. Er hatte seinen Top-Spionen keinen Glauben geschenkt, die ihm das genaue Datum des Kriegsbeginns genannt hatten. Erst nach mehreren Tagen des Zögerns rief der Herrscher im Kreml sein Land zum "Großen Vaterländischen Krieg" auf. Das Datum der Kapitulation - nach sowjetischer Rechnung der 9. Mai 1945 - ist noch immer der wichtigste Feiertag in Russland und vielen anderen Ex-Sowjetrepubliken. Jedes Jahr gedenkt das Land mit einer gewaltigen Militärparade des Sieges über Nazi-Deutschland.