In TV-Ansprache schiebt Syriens Staatschef “Extremisten“ Schuld an Massakern zu und verspricht zugleich Reformen

Hamburg/Damaskus. Eine Handvoll bewaffneter Aufrührer ermordet Unschuldige, zwingt das Militär zum Eingreifen zum Schutz besorgter Bürger, beschmutzt den guten Ruf Syriens im Ausland und behindert Reformen - so stellt sich die Lage in Syrien aus der Sicht von Staatschef Baschar al-Assad dar. Wer überhaupt noch Hoffnungen mit dieser neuen Rede Assads an sein Volk - der erst dritten seit Ausbruch der blutigen Proteste - verbunden hatte, der sah sich enttäuscht.

Der Despot schob die ganze Verantwortung für die rund 1500 Todesopfer und mindestens 10 000 Verhaftungen den Protestierenden in die Schuhe. Assad hielt seine Ansprache vor einem handverlesenen Publikum an der Universität von Damaskus; sie wurde im syrischen Fernsehen übertragen.

Eine kleine Gruppe habe die friedlichen Proteste infiltriert und habe bereits großen Schaden angerichtet; ginge das so weiter, so drohe der Zusammenbruch der syrischen Wirtschaft, sagte Assad. "Was heute passiert, hat nichts mit Reformen zu tun; es hat mit Vandalismus zu tun", rief er und forderte ein Ende der Proteste. "Es gibt da welche, die den Ruf Syriens im Ausland beschmutzen; und sie wollten die Tore öffnen und nach einer ausländischen Intervention rufen; sie wollten die Stellung der nationalen Politik schwächen", sagte der Staatschef unter frenetischem Beifall seiner Anhänger. Er verglich "Verschwörungen" mit "Krankheitskeimen, die man nicht ausrotten kann".

In der Ortschaft Dschisr al-Schoghur zum Beispiel hätten "Extremisten" ein Massaker an Sicherheitskräften verübt; ein zweites Massaker sei in der Stadt Maarat al-Noaman nur knapp verhindert worden. Augenzeugen in Dschisr al-Schoghur hatten etwas ganz anderes berichtet: Danach seien Soldaten, die sich geweigert hätten, auf unbewaffnete Zivilisten zu schießen, von regimetreuen Truppen liquidiert worden.

Der syrische Präsident drohte mit Blick auf die Protestbewegung, seine Regierung werde jeden jagen, der Blut vergieße oder dies plane, und zur Verantwortung ziehen. Angesichts der internationalen Kritik vor allem an seinem mächtigen und als brutal geltenden Bruder Maher, der die in den Rebellenstädten wütenden Truppe befehligt, warnte Assad vor "Gerüchten" über seine Familie. Diese seien "alle falsch". Nach dem Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche" stellte er in seiner Rede zugleich Reformen in Aussicht, mit denen er "die angerichteten Schäden beheben" wolle. "Wir sind vom Reformprozess, der im besten Interesse der Nation und der Bürger ist, absolut überzeugt", behauptete Assad, "Wir können nur nicht einfach ins Unbekannte springen. Wir bauen am Weg in die Zukunft."

Zu den angestrebten Reformen gehörten schärfere Gesetze gegen korrupte Beamte, eine Änderung der Parteien- und Wahlgesetze und sogar eine Änderung der Verfassung. Assad kündigte die Bildung eines Komitees an, das sich mit den Reformen befassen soll. Bis September, spätestens aber bis zum Jahresende soll ein entsprechendes Paket geschnürt und ein "nationaler Dialog" gestartet werden. Konkrete Inhalte fanden sich in Assads eineinviertelstündiger Rede jedoch nicht. Die fast 11 000 Syrer, die vor der Gewalt der Armee in die Türkei geflohen und dort in Zeltlagern untergebracht sind, rief Assad zur Heimkehr auf. Es ginge jetzt darum, das Blutvergießen zu stoppen. "Der Staat ist wie eine Mutter und ein Vater", meinte er, "er beschützt jeden. Wenn der Staat jenen vergibt, die etwas Falsches getan haben, zeigt er damit Solidarität mit seinen Söhnen."

Der gelernte Augenarzt Baschar al-Assad herrscht seit dem Tod seines Vaters und Amtsvorgängers Hafiz al-Assad im Jahre 2000 über Syrien.

Hasnaim Kazim, der Korrespondent des "Spiegels" im syrisch-türkischen Grenzgebiet, sprach von einer "grausamen, aber effektiven Strategie" des Assad-Regimes: Gewalt in nur einigen wenigen Orten - aber dann derart grausam, dass sich diese Botschaft überall in Syrien verbreite.

In zahlreichen Städten Syriens, darunter in Damaskus und der Küstenstadt Latakia, kam es nach der Rede Assads dennoch zu neuen Protesten. Die Demonstranten wiesen dabei das Reform-Angebot des Regimes als unzureichend zurück und skandierten: "Kein Dialog mit Mördern."

Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen angesichts der Unnachgiebigkeit des syrischen Regimes eine Verschärfung der Sanktionen beschließen. Die Entscheidung solle beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel fallen, sagten EU-Diplomaten.