Staatschef Saleh fliegt nach Saudi-Arabien - angeblich nur, um die Wunden eines Anschlags versorgen zu lassen

Sanaa. Tarek al-Schami wirkte ein wenig wie der einsame Rufer im dunklen Wald. "Ganz sicher wird der Präsident nach Sanaa zurückkehren - und zwar innerhalb der nächsten Tage", gab der Parteifreund des jemenitischen Herrschers Ali Abdullah Saleh tapfer zu Protokoll. Doch ob der ungeliebte Autokrat wirklich aus dem sicheren Riad in sein von Stammeskämpfen und beginnendem Bürgerkrieg gezeichnetes Land zurückkehren wird, weiß er wohl selbst nicht. Erwünscht ist er jedenfalls nicht. Während seiner 33 Jahre andauernden nahezu totalitären Herrschaft hat er sich zu viele Feinde gemacht.

Es sind mächtige Feinde, einige sind sogar von seinem eigenen Stamm. Und sie sind bereit, bis zum Äußersten zu gehen, um die Diktatur Salehs zu brechen. Sie griffen am vergangenen Freitag Palast und Palast-Moschee mit Granaten an, was eine neue Qualität in den Rebellionen innerhalb der arabischen Welt gegen die Machteliten markiert. Saleh wurde bei dem Angriff verletzt, elf seiner engsten Mitarbeiter starben. Einzig eine Audiobotschaft an sein Volk, in der Saleh nach dem Attentatsversuch mit schleppender Stimme und schweratmig Rache schwor, bewies, dass er überhaupt noch am Leben ist.

Nun hat er sich zur Behandlung nach Saudi-Arabien begeben. Ein Reporter des Nachrichtensenders al-Arabija berichtete, der verletzte Präsident sei in Riad selbst aus der Maschine gestiegen, schwer verbunden an Kopf und Brust. Ihm seien 35 verletzte Vertraute gefolgt. Wie schwer seine Verletzung ist, ist noch immer unklar. Der britische Sender BBC berichtet unter Berufung auf Regierungskreise in Sanaa, dem Präsidenten stecke in der Herzgegend ein 7,6 Zentimeter langer Munitionssplitter in der Brust, und er habe schwere Brandverletzungen. Das schien der Realität sehr nahe zu kommen, zumal es aus dem behandelnden Militärkrankenhaus in Riad am Sonntagnachmittag hieß, der jemenitische Patient werde an der Brust operiert.

Saleh hat nicht nur mächtige Feinde, sondern auch kaum noch Freunde. Der ehemals enge Verbündete im Kampf gegen den islamistischen Terror wandte sich von ihm ab: Washington empfahl dem 69-Jährigen abzudanken. Selbst Riad tut sich schwer mit dem ungebetenen Gast. Saudi-Arabien ist größter Geldgeber des bankrotten Jemen, teilt eine 1500 Kilometer lange Grenze mit dem Land. Es unterstützt die Regierung, das Militär und die gesamte Infrastruktur, finanziert aber auch Stämme im Kampf gegen den besonders aktiven jemenitischen Flügel der radikalislamischen al-Qaida. Denn das allein ist Riads Interesse: Jemen nicht zu einem sicheren Hafen für al-Qaida und Sinnesverwandte abgleiten zu lassen, zu einem "failed state" an seiner Südflanke, von wo aus die Wege der islamistischen Fanatiker in die ölreiche Wüstenmonarchie kurz sind.

Riad konnte zwar eine einwöchige Waffenruhe orchestrieren, die jedoch kurz nach Inkrafttreten bereits in Tais und auch in Sanaa wieder gebrochen wurde. Gestern griffen Dutzende Bewaffnete den Präsidentenpalast in Tais an. Wie aus Militärkreisen verlautete, töteten sie vier Soldaten bei der versuchten Erstürmung des Geländes. Auch einer der Angreifer sei ums Leben gekommen. Die Angreifer sollen einer Gruppe angehören, die sich zusammengetan hat, um Rache für Regierungsgegner zu nehmen, die Salehs Regime zum Opfer gefallen seien.

Die Zukunft des Landes scheint vollkommen ungewiss. Doch die Ausreise des Despoten feierten die Regimegegner bereits als Sieg. Auf den Straßen von Sanaa riefen die Menschen: "Das Volk hat das Regime gestürzt." Und ein Anführer der jemenitischen Jugendprotestbewegung sagte dem Nachrichtensender al-Arabija: "Das ist ein Flug ohne Wiederkehr." In der Hauptstadt sangen Soldaten zusammen mit Demonstranten patriotische Lieder und tanzten. Sie wurden auf Schultern durch die Menge getragen.

Tatsächlich bietet sich Saleh nun eine gesichtswahrende Möglichkeit des Abtritts, wenngleich seine Entourage - darunter seine mächtigen Söhne - noch immer das im Untergang befindliche Regime in Sanaa repräsentiert und einen kaum zu ignorierenden Machtfaktor darstellt. Einstweilen führt Salehs Vize Abed Rabbo Mansur Hadi die Geschäfte. Seine erste Amtshandlung: ein Treffen mit US-Botschafter Gerald Feierstein.

"Wir wollen nicht, dass der Geheimdienst oder die Armee nun die Macht übernimmt", sagte der Menschenrechtler Kawkab al-Thaibani der "Yemen Times". "Wir wollen, dass sie die friedlichen Demonstranten schützen und die wirkliche Revolution geschehen lassen." Ein frommer Wunsch? Vielleicht nicht: Die 33. Panzerdivision ist zur Opposition übergelaufen. Das erklärte ein General in Tais, nachdem sich die Einheit geweigert hatte, auf Demonstranten zu schießen.