Bundesregierung droht Staatschef Assad mit konkreten Sanktionen; EU berät morgen in Brüssel darüber

Hamburg. Die Lage in Syrien hat sich weiter verschärft. Das Regime von Staatspräsident Baschar al-Assad entsandte zusätzliche Truppen mit Panzern in mehrere Orte, in denen Oppositionelle gegen die Herrschaft Assads aufbegehren. In der Küstenstadt Banias fuhren nach Aussage von Augenzeugen drohend Kampfpanzer und Mannschaftstransporter an einer Schnellstraße auf. In Duma, einem Vorort der Hauptstadt Damaskus, gingen Beauftragte der Regierung mit Personenlisten von Haus zu Haus. Wurden die gesuchten Verdächtigen bei den Razzien nicht angetroffen, so würden deren Verwandte in Haft genommen, berichtete ein Anwohner.

Oppositionelle berichteten ferner, die Situation der Regimegegner werde immer schlimmer. Verletzten Demonstranten würde der Zugang zu Krankenhäusern verwehrt, sodass sie im Untergrund unter primitivsten Bedingungen versorgt werden müssten.

Nach Ermittlungen von syrischen Menschenrechtlern sind bei dem Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Oppositionelle seit Mitte März mindestens 453 Menschen um Leben gekommen. Allein in der 100 Kilometer südlich von Damaskus gelegenen Stadt Daraa sollen beim Einrücken von rund 5000 Soldaten am Montag 25 Menschen erschossen worden ein. Ein Augenzeuge berichtete gestern einem Reporter der Agentur AFP, die Stadt sei vollständig belagert. Die Versorgung mit Strom und Wasser sei gekappt, Scharfschützen des Regimes würden auf Wassertanks schießen, um sie unbrauchbar zu machen. "Das ist ein Massaker, ein echtes Massaker", sagte der syrische Händler namens Massalmeh. Gestern sollen mehr als 400 Menschen in Daraa festgenommen worden sein.

Die Uno in New York teilte mit, nach ihrer Kenntnis habe es allein seit Freitag vergangener Woche 76 Todesopfer gegeben. An der syrisch-jordanischen Grenze soll die jordanische Armee in Stellung gegangen sein. König Abdallah II. hat angesichts der Krise eine Reise verschoben. Die Einwohner des von der syrischen Armee belagerten Ortes Al-Moadhamija unweit von Damaskus haben in ihrer Not offenbar das Gespräch mit Armee-Kommandeuren gesucht, um ein Ende der Belagerung zu erreichen. Jeder, die die Stadt verlassen oder betreten wolle, werde durchsucht, hieß es. Mehrere Einwohner sollen bei friedlichen Demonstrationen erschossen worden sein. Die Anwohner widersprachen entrüstet der Darstellung der Regierung, nach der die Sicherheitskräfte in Al-Moadhamija Jagd auf Terroristen mache - denn die gebe es dort gar nicht. Indessen kursierten Berichte, dass es zwischen den besonders regimetreuen Spezialeinheiten und einigen Offizieren der regulären Armee Zusammenstöße gegeben habe. Die Offiziere hätten sich geweigert, das Feuer auf Zivilisten eröffnen zu lassen.

Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilte den Einsatz von Panzern und scharfer Munition gegen friedliche Demonstranten. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, Syrien stehe "an einer gefährlichen Wegscheide". Ähnlich wie sein britischer Amtskollege William Hague sieht Westerwelle jedoch Chancen für Gespräche mit Staatschef Assad. Die Gewaltspirale in Syrien müsse gestoppt werden.

Für den Fall, dass Assad nicht einlenkt, will die Bundesregierung Sanktionen gegen das Regime in Damaskus. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, denkbar seien das Einfrieren syrischer Konten, der Stopp von EU-Zahlungen an Syrien und Reisebeschränkungen für Mitglieder der syrischen Führung. Westerwelle fordert zudem ein Waffenembargo. Unter Bezug auf mögliche Sanktionen seitens der Vereinten Nationen sagte der Außenminister: "Wir werden unseren Beitrag leisten, dass auch der Uno-Sicherheitsrat klare Positionen einnimmt."

Doch der Sicherheitsrat konnte sich gestern Abend nicht auf eine gemeinsame Erklärung einigen. Nach Diplomatenangaben gelang es den 15 Ratsmitgliedern in New York nicht, Einigkeit über einen unter anderem von Deutschland eingebrachten Entwurf zu erzielen, der die gewaltsame Unterdrückung von Regierungsgegnern in Syrien verurteilte und eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle forderte. Er scheiterte an Vorbehalten von Russland und China.

Einen Vergleich mit Libyen, wo die Nato Kampfeinsätze gegen die Regimetruppen Muammar al-Gaddafis fliegt, lehnte der deutsche Außenminister ab. Westerwelle fügte hinzu, auch die Grenzen des Militäreinsatzes in Libyen seien bereits "absehbar". Auch der britische Verteidigungsminister Liam Fox schloss ein internationales Eingreifen wie in Libyen vorerst aus.