Das Regime in Syrien will den Ausnahmezustand aufheben - und geht noch härter gegen die Opposition vor

Damaskus. Nach wochenlangen Protesten für mehr Demokratie und Bürgerrechte will die syrische Regierung den seit fast 50 Jahren geltenden Ausnahmezustand aufheben. Einem entsprechenden Gesetzentwurf stimmte das Kabinett in Damaskus gestern zu. Die Gesetzesvorlage muss noch vom Parlament beschlossen und von Präsident Baschar al-Assad gegengezeichnet werden. Dem Vernehmen nach soll an die Stelle des Ausnahmezustands ein neues Anti-Terror-Gesetz treten.

Aktivisten zufolge beinhaltet dieses ähnlich autoritäre Vollmachten für den Sicherheitsapparat wie die aus dem seit 1963 geltenden Ausnahmezustand abgeleiteten Gesetze und Präsidentenerlasse. In Syrien können auf dieser Grundlage Bürger willkürlich verhaftet und vor eigene Staatssicherheitsgerichte gestellt werden, vor denen sie nur eingeschränkten Rechtsschutz genießen. Auch Folter und Misshandlung in der Haft und im Gewahrsam des Geheimdienstes bleiben ungeahndet.

Das Regime Assads kündigte unterdessen eine noch härtere Gangart gegen die Demonstranten an. Das Innenministerium bezeichnete die wochenlangen Bürgerproteste als angeblichen "bewaffneten Aufstand" extremistischer religiöser Kräfte.

"Die terroristischen Aktivitäten dieser Gruppen werden nicht geduldet", hieß es in der Mitteilung des Innenministeriums. Wenig später untersagte das Ministerium praktisch jede weitere Kundgebung. "Unter den gegenwärtigen Umständen und zur Gewährleistung von Stabilität und Sicherheit ruft das Innenministerium die Bevölkerung auf, mit Demonstrationen oder Sitzblockaden aufzuhören", hieß es in einer Mitteilung, wobei der "Aufruf" einer Verbotsverfügung gleichzusetzen ist.

In der Stadt Homs hatten die Menschen den Rücktritt von Präsident Assad verlangt. Der Protest entwickelte sich im Anschluss an die Beisetzung von 14 Demonstranten, die von Sonderpolizei und Geheimdienstagenten am Sonntag getötet worden waren. Bis Montagabend hatten mehr als 20 000 Menschen eine Sitzblockade begonnen, die sie bis zu einem Rücktritt von Staatschef Assad aufrechterhalten wollten. Die Menschen hätten Zelte errichtet und den Platz El Saa in Tahrir-Platz umbenannt, sagte ein Aktivist der Nachrichtenagentur AFP. Der Tahrir-Platz in Kairo war das Zentrum der Proteste, die im Februar zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak geführt hatten. Die Polizei schoss auf die Teilnehmer der Sitzblockade. Mindestens ein Mensch wurde getötet, mehrere verletzt. Laut über das Internetportal YouTube verbreiteten Filmen riefen die Demonstranten "Sitzblockade bis zum Sturz des Regimes" und "Das syrische Volk ist vereint". In der Hauptstadt Damaskus versammelten sich rund 100 Studenten vor der Universität zu einer 15-minütigen Sitzblockade. Sie forderten ein "Ende des Blutvergießens" in ihrem Land. Bei der Unterdrückung der Proteste in den vergangenen Wochen starben bislang nach Schätzungen von Menschenrechtsaktivisten mehr als 250 Menschen. Hunderte weitere Menschen wurden verletzt, Dutzende festgenommen.

Das Regime versucht indes, die Protestbewegung zu kriminalisieren. Ein Brigade-General der syrischen Armee, seine beiden Söhne, sein Neffe sowie zwei weitere Offiziere seien in Homs von "bewaffneten Banden" getötet worden, teilte die staatliche Nachrichtenagentur Sana mit. Ein Aktivist sagte hingegen, der General sei von den Sicherheitskräften hingerichtet worden, weil er sich dem Befehl widersetzt habe, auf friedliche Demonstranten zu schießen. Die Behauptung, extremistische Kräfte stünden hinter den Protesten, soll nach Befürchtung der Aktivisten als Vorwand dafür dienen, dass die Sicherheitskräfte noch brutaler gegen die Demonstrationen vorgehen werden. Die Unterstellungen und Drohungen stehen in merkwürdigem Gegensatz zu der von Assad angestrebten Aufhebung des Ausnahmezustands und zu seinen vagen Ankündigungen von politischen Reformen. Auf einer Kabinettssitzung am vergangenen Wochenende hatte der Präsident von einer "Kluft" zwischen Staat und Bürgern gesprochen und neue Demonstrations-, Medien- und Parteiengesetze in Aussicht gestellt.

Beobachter erklären dies mit der Taktik eines Doppelspiels. Auf politischer Ebene werde mit letztlich unverbindlichen Zusicherungen beschwichtigt, während der mächtige Sicherheitsapparat oppositionelle Regungen massiv unterdrückt.