Menschenrechtsorganisation wirft Gaddafi den Einsatz der geächteten Waffen vor. USA suchen nach Asylland für Libyens Machthaber

Tripolis. Gern lässt sich die libysche Regierung mit offiziellen Statements Zeit, um Souveränität selbst in Kriegszeiten zu suggerieren. Diesmal ging es aber schnell: Nur wenige Stunden nachdem die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) bestätigt hatte, dass die libysche Armee in der seit Wochen umkämpften Stadt Misrata international geächtete Streubomben einsetzt, reagierte der Regierungssprecher Mussa Ibrahim: "Wir können diese Waffen aus moralischen und legalen Gründen nicht einsetzen. Wir wissen doch, wie viele internationale Organisationen und Medienvertreter in unserem Land sind. Wir wollen für diesen Vorwurf Beweise sehen."

Generalmajor Saleh Abdallah Ibrahim versicherte bei einer Pressekonferenz mehrmals entschieden: "Wir haben keine Streubomben in unseren Arsenalen, kein Soldat wurde jemals in der Benutzung dieser Waffen ausgebildet, und dementsprechend können wir sie nicht einsetzen." Seine Armee sei das Opfer einer Medienkampagne. Die geächteten Bomben könnten nur über den Hafen von Misrata eingeschmuggelt und von den Rebellen selbst eingesetzt worden sein. Die Augenzeugenberichte von Journalisten und einem Vertreter von HRW über abgeschossene Streubomben, die sich wie Feuerwerkskörper in viele tödliche, kleinere Bomben aufteilen, seien noch lange keine echten Beweise. "Der Einsatz dieser Waffen hinterlässt Monate nach ihrem Einsatz Spuren am Boden. Wir heißen internationale unabhängige Beobachter willkommen, die diesen Fall vor Ort untersuchen."

Der Vorwurf des Einsatzes von Streubomben bringt den Generalmajor und die libysche Regierung sichtlich unter Druck. Sie könnten die entscheidende Rechtfertigung für die Nato liefern, ihre Bombardierungen der Stellungen des libyschen Militärs zu intensivieren. Und das nicht nur in Misrata, sondern in allen libyschen Städten, in denen es zu bewaffneten Konfrontationen kommt. Entsprechend der Resolutionen 1970 und 1973 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gilt es, das Leben der Zivilbevölkerung zu schützen.

Human Rights Watch berichtete, es seien in Misrata mindestens drei Granaten mit Streumunition über einem Wohnviertel explodiert. Experten hätten die von einem "New York Times"-Reporter entdeckte Munition begutachtet und als Mörsergranaten aus spanischer Produktion identifiziert. Streumunition sind Bomben oder Granaten, die sich in der Luft öffnen und zahlreiche kleinere Sprengsätze freigeben.

Augenzeugen und internationale Hilfsorganisationen bestätigten, dass Misrata seit Wochen unter schwerem Geschützfeuer von Gaddafi-Truppen liege, Raketen- und Artillerieangriffe seien wahllos über die Hafenstadt verteilt. Libysche Panzer wurden vom Nachrichtensender al-Dschasira beim Kampfeinsatz in der Innenstadt auf der Tripolis-Straße gefilmt.

Allein am vergangenen Wochenende zählte man mehr als 200 Artillerieangriffe, bei denen es 40 Tote und 105 Verletzte gab. Raketen fielen auf Wohngebiete, Schulen und eine Straße, in der sich Einwohner vor einer Bäckerei um Brot angestellt hatten. Einige flüchteten in eine Autowerkstatt, die Schutz zu bieten schien. Aber nach einem Granatentreffer brach Feuer aus, dem niemand entkam.

Einen weiteren schweren Vorwurf gegen Anhänger und Milizen Gaddafis haben Ärzte in der von Rebellen dominierten Stadt Bengasi erhoben. Nach einem Bericht der britischen "Sunday Times" vergewaltigen die Soldaten systematisch Frauen von Aufständischen - meist während deren Männer an der Front kämpfen. Ein Arzt habe von einem Dutzend Fällen gesprochen, insgesamt sollen es rund 100 sein.

Unterdessen suchen die USA offenbar nach einem Asylland für Machthaber Muammar al-Gaddafi. Da Gaddafi jedoch Anklagen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag drohten, sei die Zahl der infrage kommenden möglichen Aufnahmeländer begrenzt, berichtete die "New York Times" unter Berufung auf Regierungsvertreter. Washington bemühe sich um einen "friedlichen Ausweg". Gesucht werde ein Land, welches das sogenannte Rom-Statut zur Anerkennung des Gerichts nicht ratifiziert hat. Neben zahlreichen afrikanischen Ländern gilt dies auch für die USA.