Der Künstler Ai Weiwei bleibt gefangen. Peking beteuert: Nicht wegen Menschenrechtsfragen

Peking. Die Regierung lässt abwiegeln. Auf die weltweite Empörung nach der polizeilichen Verschleppung des Künstler Ai Weiwei und auf die Unruhe der chinesischen Mikroblogger reagierte sie. Kurz nach Mitternacht auf Donnerstag durfte die Nachrichtenagentur Xinhua sich zur Festnahme des 53-Jährigen äußern, der Sonntag früh von Beamten am Pekinger Airport vor seinem Abflug abgeführt wurde. Das Außenministerium warnte, das Ausland habe kein Recht, sich in chinesische Justizangelegenheiten einzumischen. Aber er bestätigte: "Gegen Ai Weiwei wird wegen Wirtschaftsverbrechen ermittelt. Das hat mit der Frage von Menschenrechten und der Meinungsfreiheit nichts zu tun."

China rudert zurück. Hinter dem Kauderwelsch verbirgt sich amtliches Kalkül. Die Partei lässt den Künstler "nur" noch wegen ziviler Wirtschaftsdelikte, nicht aber als "politischen Umstürzler" anklagen. Das ist ein großer Unterschied: Alle, die nach Pekinger Lesart unter den Vorwurf fallen, "staatsgefährdende Dissidenten zu sein", sind für Chinas willfährige Justiz vogelfrei. Sie wurden bisher ohne Ausnahmen zu drakonischen Haftstrafen abgeurteilt.

An Ai Weiwei geht der Kelch, zum politischen Häftling gestempelt zu werden, vorbei. Pekings Behörden haben die Notbremse gezogen, nachdem seine Verschleppung ihnen einen Image-GAU im Ausland bescherte. Internetkampagnen über Twitter oder Facebook, in die sich viele Chinesen über Proxyserver einwählen, rufen zu "einer Million solidarischer Unterschriften" auf. Peking merkt, dass es sich mit der Inhaftierung Ai Weiweis böse vergriffen hat. Die Verlegenheit darüber spiegelt sich ausgerechnet im patriotischen Partei-Massenblatt "Global Times" wider. Am Vortag hatte es Ai Weiwei noch scharf attackiert. Nun windet es sich: "Chinas Gesellschaft braucht historisch gesehen Personen wie Ai Weiwei. Mancher Druck, den der Westen in der Frage der Menschenrechte auf China ausübt, ist nicht unbedingt nur eine schlechte Sache", heißt es.

Im Pekinger Atelier Ai Weiweis, das die Polizei mit einer Razzia durchwühlte und dabei den Strom abdrehte, brennt wieder Licht. Ai Weiwei aber ist nicht zurück. Ob und wie rasch der vermeintliche "Wirtschaftsverbrecher" aus den Händen der Justiz herauskommt, bleibt ungewiss. Es gibt Präzedenzfälle. Ein Mitarbeiter der "New York Times", Zhao Yan, wurde verhaftet und 2007 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der politisch unliebsame Xu Zhiyong, Gründer eines Anwaltshilfevereins, kam dagegen 2009 um seine Verurteilung herum. Nach einem öffentlichen Aufschrei begnügte sich das Gericht mit einer Geldbuße.