Aufständische in Libyen werfen Militärallianz mangelnde Unterstützung im Kampf gegen Machthaber Gaddafi vor

Brüssel. Eine knappe Woche nachdem die Nato das Kommando über den Libyen-Einsatz übernommen hat, zeichnen sich erste, aber deutliche Risse in der jungen Beziehung zwischen der Allianz und den Rebellen im Norden des Landes ab. Die militärisch großteils wenig erfahrenen Gegner von Machthaber Muammar al-Gaddafi sind mit dem Fortgang des Einsatzes nicht zufrieden. "Leider hat uns die Nato bisher enttäuscht", sagte der Militärführer der Rebellen, General Abdulfattah Junis, auf einer Pressekonferenz in der ostlibyschen Metropole Bengasi. Nach vorläufigen Erfolgen der Rebellen auf ihrem Weg westwärts - Richtung Tripolis - gewinnen Gaddafis Truppen wieder an Boden. So drängten sie gestern die Aufständischen fast vollständig aus der Hafenstadt Brega zurück.

Gleichwohl bat Gaddafi US-Präsident Barack Obama in einem Brief um ein Ende der Nato-Angriffe in Libyen. In dem Brief, der in Washington als authentisch eingeschätzt wird, spricht Gaddafi von einem "ungerechten Krieg gegen ein kleines Volk eines Entwicklungslandes". Die Luftangriffe hätten seinem Land moralisch stärker geschadet als militärisch. Eine demokratische Gesellschaft könne nicht mithilfe von Raketen und Kampfflugzeugen errichtet werden, so Gaddafi. Ein Sprecher der US-Regierung sagte: "Nicht Worte zählen, sondern Taten."

Mit den Vorhaltungen und dem Vorgehen der Rebellen muss die Nato alles andere als glücklich sein. Den Kämpfern fehlt es augenscheinlich an Erfahrung, Ausrüstung und auch an der richtigen Einschätzung der Gefechtslage. Nachdem ein Großteil der gepanzerten Fahrzeuge der Regierungstruppen zerstört wurde, seien Gaddafis Soldaten von den Aufständischen kaum noch zu unterscheiden, sagte ein Nato-Mitarbeiter.

Bisher war es die Nato und zuvor die "Koalition der Willigen", die mit Hunderten Angriffen aus der Luft den Ansturm der regulären Truppen stoppen konnten. Nun aber haben sich Gaddafis Männer umgestellt. Die Panzer und schwere Artillerie sind verschwunden oder in Dörfern und damit nahe von "menschlichen Schutzschilden" stationiert. Stattdessen marschieren die Angreifer mit leichten Waffen voran, benutzen ähnliche Fahrzeuge wie die Rebellen und scharen Zivilisten um sich.

Diesem Gegner können die Rebellen nur im Bodenkampf begegnen - und sind auf sich allein gestellt. Die Uno-Resolution 1973, Grundlage des Nato-Einsatzes, erlaubt nur die Wahrung der Flugverbotszone und den Schutz der Zivilbevölkerung aus der Luft. Nach Meinung der Rebellen kommt die Militärallianz diesem Mandat aber gar nicht nach, zumindest in der Küstenstadt Misrata. "Wenn die Nato noch eine Woche wartet, ist das das Ende von Misrata", warnt Rebellenchef Junis. Es drohe eine "Ausrottung im wahrsten Sinne des Wortes". Die Nato meine, "uns einen Dienst zu erweisen mit ein paar Bombardements, während sie die Einwohner von Misrata jeden Tag sterben lässt", sagte der Libyer. Wenn sich dies nicht ändere, müsse er den Übergangsrat der Aufständischen bitten, die Angelegenheit vor den Uno-Sicherheitsrat zu bringen, sagte Junis.

Die Allianz widersprach dem Vorwurf umgehend. "Wir haben ein klares Mandat, und wir werden alles tun, um die Zivilbevölkerung von Misrata zu schützen", sagte die stellvertretende Nato-Sprecherin Carmen Romero. Sie wies darauf hin, dass die Militärallianz am Montag Gaddafi-Truppen rund um Misrata angegriffen habe. Häufigkeit und "Präzision" der Luftangriffe hätten sich nicht geändert, fügte sie hinzu.

Die britische Luftwaffe bombardierte nach Angaben des Verteidigungsministeriums sechs gepanzerte Fahrzeuge und sechs Panzer der Gaddafi-Truppen im Gebiet von Misrata und Sirte. Seit Beginn der vom Bündnis geführten Militäraktion vor einer Woche wurden 400 Kampfeinsätze geflogen. Nur bei einem Teil davon wurden die Waffen tatsächlich eingesetzt, hieß es. Zudem wurden vor der Küste neun Schiffe gestoppt, um Waffenlieferungen zu verhindern. Nach Angaben der Nato gingen bei drei Schiffen Inspektionskommandos an Bord, um sich über die Ladung zu vergewissern.

Währenddessen wächst die Kritik der Nachbarstaaten am Einsatz. Algerien erneuerte seine Forderung nach einer sofortigen Einstellung jeglicher ausländischer Militärintervention. Auch die Afrikanische Union wünsche dies. Russland warnte die Nato vor direkter Militärhilfe an die Rebellen. "Das wäre ein Bruch der Uno-Resolution", sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow. Der Beschluss des Weltsicherheitsrats erlaube nicht automatisch eine "Einmischung in den Bürgerkrieg", sagte Lawrow.

Kreml-Chef Dmitri Medwedew betonte erneut, dass Russland in Libyen nicht militärisch eingreifen werde. "Wir werden an keinen Operationen teilnehmen und rufen alle Seiten zu Verhandlungen auf", sagte er. Die Zeitung "Komsomolskaja Prawda" berichtete unterdessen über angebliche weißrussische Söldner in Libyen. Die Elitesoldaten kämpften für bis zu 2100 Euro im Monat für Gaddafi.