Der zwielichtige Popsänger Michel Martelly gewann die Präsidentschaftswahlen in dem zerstörten Karibikstaat

Hamburg. "Sweet Micky" hat ein Problem. Wenn er sich bislang in der Öffentlichkeit gezeigt hatte, dann riss er sich schon mal die Hosen vom Leib und schleuderte Vulgaritäten in die Menge, dass es den abgehärtetsten Seemann grauste. In Zukunft wird sich "Sweet Micky" etwas zusammennehmen müssen, denn Michel Martelly, wie der Mann bürgerlich heißt, ist voraussichtlich der neue Staatspräsident von Haiti.

Der 50-Jährige siegte in der Stichwahl mit 67,5 Prozent der abgegebenen Stimmen über die frühere First Lady und Universitätsprofessorin Mirlande Manigat, die nur auf 31,7 Prozent kam. Das offizielle Endergebnis soll am 16. April bekannt gegeben werden.

Die Karriere vom Pop- und Karnevalssänger ohne jegliche politische Erfahrung direkt zum Staatspräsidenten dürfte einmalig sein. Möglich wurde sie, weil die Haitianer gründlich die Nase voll vom politischen Establishment des karibischen Inselstaates haben. Manigat, die im Wahlkampf Perlenketten trug und elegantes Französisch statt Kreolisch sprach, erschien vor allem jungen Wählern als zu etabliert.

Während Sänger Wyclef Jean seinen Kollegen Martelly unterstützte, zog die Regierung ihren eigenen Kandidaten Jude Celestin überraschend zurück. Damit war der Weg für "Sweet Micky" plötzlich frei.

Die Probleme Haitis resultieren vor allem aus dem Wirken einer langen Reihe von unfähigen Diktatoren. Hinzu kommt noch das Versagen der politischen Führung nach dem Erdbeben 2010 mit rund 250 000 Toten sowie der grassierenden Cholera-Epidemie hinzu. Fast 700 000 Menschen, deren Häuser zerstört wurden, leben immer noch in provisorischen Zeltstädten und Notunterkünften. Viele von ihnen sind nun von Vertreibung bedroht, denn diese Behausungen wurden oft spontan auf privaten Grundstücken errichtet, deren Eigner die Geduld verlieren.

Experten wie Michael Huhn vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat bezweifeln, dass Michel Martelly der Richtige ist, um Haiti in eine bessere Zukunft zu führen. Dem Land drohe eine "zweite Aristide-Falle", sagte Huhn. Martelly verhalte sich ähnlich wie in den 90er-Jahren der Salesianerpater Jean-Bertrand Aristide, der mehrfach Staatspräsident von Haiti war und sich als Heilsbringer inszeniert habe, ohne dass seine wahren Motive erkennbar gewesen wären. "Martellys bisheriger Werdegang lässt vor allem eines ahnen: dass er die enormen Herausforderungen, vor denen Haiti nicht erst seit dem Erdbeben 2010 steht, kaum bewältigen kann", sagte Huhn. Zwar hätten die alten Eliten ihren Kredit verspielt - Martelly sei aber keineswegs ein Unbekannter in diesen Kreisen. So habe er eine sehr aktive Rolle während der Militärdiktatur von 1991 bis 1994 gespielt. Martelly habe in Petionville einen Nachtklub namens Le Garage betrieben. Dort seien die Schläger- und Folterertrupps der "Tontons Macoutes" von Diktator François "Papa Doc" Duvalier und dessen Sohn und Nachfolger Jean-Claude "Baby Doc" Duvalier ein und aus gegangen. Angeblich war es sogar Michel François, der Chef der "Onkelchen Menschenfresser", der Martelly den Namen "Sweet Micky" gegeben habe. "Ich habe saubere Hände, ich war nie in der Politik", betont Martelly.

Doch bei der Frage eines angesehenen haitianischen Journalisten nach seinen Schulden in den USA soll "Sweet Micky" drohend geknurrt haben: "Wir sehen uns auf der Straße wieder." Martelly hat noch im Wahlkampf den beiden aus dem Exil zurückgekehrten Ex-Diktatoren "Baby Doc" Duvalier und Aristide, die noch über eine gewaltbereite Anhängerschaft verfügen, eine Zusammenarbeit angeboten.

Michel Martelly, der aus ersichtlichen Gründen auch den Spitznamen "Tete Kale" (Kahlkopf) trägt, hatte ein Ingenieursstudium zugunsten seiner Sängerkarriere abgebrochen, wurde landesweit bekannt und rief die Armen-Stiftung Rose et Blanc ins Leben. Doch zum Zuge als Kandidat kam er, weil die Kandidatur eines anderen Sängers, des wohl berühmtesten Haitianers, Wyclef Jean, platzte. Der Rapper scheiterte juristisch, weil er seinen Wohnsitz gar nicht in Haiti hatte.

Vor einem Präsidenten Martelly stehen nun gewaltige Aufgaben. So leben 80 Prozent der 9,6 Millionen Einwohner unterhalb der Armutsgrenze. Martelly muss die internationalen Geldgeber überzeugen, die zugesagten elf Milliarden Dollar für den Wiederaufbau des zerstörten und unter Gewalt und Korruption leidenden Landes nun vertrauensvoll in seine Hände zu legen.