Die Botschafterin der Ukraine über den Atomunfall von Tschernobyl vor 25 Jahren

Hamburg. "Wenn wir die Bilder aus Fukushima sehen, steigen natürlich sehr schlimme Erinnerungen in uns hoch", sagt Natalia Zarudna, Botschafterin der Ukraine in Deutschland. Die lebhafte Frau, die zwischen Studium und diplomatischer Karriere fast 20 Jahre lang als Reiseleiterin und Dolmetscherin in Kiew gearbeitet hatte, betont: "Wir hoffen, dass die Havarie in Fukushima nicht so tragisch endet wie in Tschernobyl, und wir wollen gern unsere Erfahrungen weitergeben - wir haben so viel gelernt seit der Katastrophe." Zusammen mit der Konsulin in Hamburg, Oksana Tarasyuk, besuchte die ukrainische Diplomatin das Abendblatt - und sprach über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der Atomkatastrophe in ihrem Land.

Tschernobyl explodierte vor 25 Jahren - und es sei noch keineswegs vorbei, sagt Natalia Zarudna, "noch immer kämpfen wir gegen die Folgen". So sei die 30-Kilometer-Zone um den Reaktor noch immer geschlossen; innerhalb von zehn Kilometern sei die Radioaktivität sehr gefährlich, man könne dort nicht leben. Für die Landwirtschaft werde es noch für 100 Jahre eine tote Zone sein. "Wir haben den letzten Reaktor in Tschernobyl vor elf Jahren außer Betrieb gesetzt, aber es wird noch mindestens weitere 70 Jahre Arbeit benötigen, um dieses Kraftwerk endgültig schließen zu können", sagt Zarudna.

"Nachdem Tschernobyl explodiert war, blieb ich noch drei Wochen lang in Kiew, nur 120 Kilometer vom Unglücksreaktor entfernt. Das war damals ein gefährlicher Ort. Wenn es nicht eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern gewesen wäre, hätte man Kiew evakuiert. Viele Menschen haben Kiew verlassen; ich konnte das aber nicht, und mein Sohn hatte danach viele gesundheitliche Probleme. Er hatte radioaktiv verseuchtes Wasser und Essen zu sich genommen. Und mein jüngster Sohn kam nur ein paar Monate nach dem Unfall zur Welt. Wir sind alle Geiseln dieser Katastrophe; die Ukrainer haben enorm gelitten in diesen Jahren. Diese bitteren Erfahrungen wünsche ich niemandem." Eine der Folgen sei gewesen, dass das Immunsystem praktisch nicht mehr gearbeitet habe. "Bei meinem Sohn dauerte eine Bronchitis ein halbes Jahr, aber er hatte kein Fieber - denn der Körper hat sich nicht gewehrt."

Und eine der Folgen der Katastrophe sei Krebs. "Nach neueren Erkenntnissen geht man davon aus, dass rund 110 000 Menschen an den Folgen des Reaktorunfalls gestorben sind. Kiew war noch nie so sauber wie in dieser Zeit, denn die Menschen haben ständig ihre Häuser abgewaschen, um den radioaktiven Staub aus Tschernobyl loszuwerden", sagt die Ukrainerin.

"Wir haben derzeit noch vier Atomkraftwerke am Netz. Die Frage ist jedoch, ob wir es uns leisten können, auf Atomkraftwerke zu verzichten. Wir beziehen mehr als 50 Prozent unseres Stroms aus Kernkraft und haben die größten Uran-Vorräte in Europa."

Die Entscheidung Japans, eine Nuklearanlage ausgerechnet in einer geologisch aktiven Region zu bauen, sei sicher nicht die weiseste gewesen. "Auch in Tschernobyl war es vor allem menschliches Versagen, das diese Katastrophe über uns gebracht hat. Wir haben in den 25 Jahren seitdem die Lehre gezogen, dass Technik allein nicht die Gefahren mit sich bringt - es wird gefährlich, wenn Menschen nachlässig oder zu selbstsicher im Umgang mit der Technik werden."