Schweizer Botschafter warnt aber auch vor Flucht der Politiker aus der Verantwortung

Hamburg. Der Schweizer Botschafter in Deutschland, Tim Guldimann, hält die direkte Demokratie in seinem Land für ein wirksames Mittel gegen Politikverdrossenheit und gegen die Entfremdung von Bürgern und Politik. Im Gespräch mit dem Abendblatt sagte der 60 Jahre alte Diplomat, Volksinitiativen und Referenden bezögen die Bevölkerung frühzeitig ein und schafften Vertrauen. Kritische Haltungen, Sorgen oder Unsicherheiten in der Bevölkerung würden früher und offener debattiert; bestimmte Themen wie etwa Integrationsprobleme werden dadurch weniger tabuisiert. Solche Erfahrungen ließen sich aber nicht als Rezept auf andere Länder übertragen.

Zugleich ging Guldimann bei seinem Besuch in der Hansestadt auch auf die Probleme der direkten Demokratie ein. Manchmal gehe es bei Initiativen nicht allein um die Buchstaben des Abstimmungstextes, sondern um etwas anderes - wie etwa bei der Minarett-Initiative. Bei ihr hatten sich die Schweizer mit 57,5 Prozent der Stimmen gegen den Bau von Türmen an islamischen Gebetshäusern ausgesprochen. Hier ging es aber nicht um Baubewilligungen, sondern um die Haltung gegenüber einer Religionsgemeinschaft. Zudem sieht Guldimann die Gefahr, dass die Politik Verantwortung an Volksentscheide delegiere, anstatt sie selbst wahrzunehmen, ähnlich wie in Deutschland politische Verantwortung an das Bundesverfassungsgericht delegiert werde.

Guldimann sagte, die direkte Demokratie habe sich sehr positiv im Schweizer System neben dem Parlamentarismus etabliert. "Unsere Demokratie ist doppelt abgestützt." Es lasse sich auch kein Trend zu einer sinkenden Beteiligung bei Abstimmungen ausmachen.