Großbritannien und USA drängen darauf, dass das Bündnis möglichst bald das Operationskommando übernimmt

Brüssel. Die militärischen wie politischen Fronten in der Libyen-Krise haben sich gestern teilweise entspannt, wenn auch der Fortgang der Operation "Odyssey Dawn" vollkommen ungewiss ist. So bewegt sich Frankreich, das vehement gegen eine Kommandoübernahme durch die Nato argumentiert hat, langsam wieder auf das Bündnis zu. Aus Libyen kamen Meldungen, dass die Armee von Machthaber Muammar al-Gaddafi die Angriffe auf die Rebellenhochburg Misrata eingestellt habe. Das wäre ein Erfolg der alliierten Luftangriffe.

Und schließlich verlautete aus italienischen wie US-amerikanischen Regierungskreisen, Libyens Diktator solle von höchster Stelle zur Aufgabe überredet werden: Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi will sich der "Allianz der Willigen" als Vermittler anbieten. Er traut sich zu, Gaddafi davon "überzeugen" zu können, dass ein freiwilliger Gang ins Exil für alle Parteien die beste Lösung dieses Konflikts sei.

Berlusconi erwägt sogar, unmittelbar nach einer stabilen Feuerpause persönlich nach Tripolis zu fliegen, um Gaddafi im Rahmen eines "nationalen Versöhnungsdialogs" zu einem "ehrenvollen" Abgang zu verhelfen. Er wolle dafür Sorge zu tragen, dass Gaddafi "kein Haar gekrümmt" werde, hat Italiens Premier intern verlauten lassen.

So wünschenswert diese Option klingen mag, sie ist wenig wahrscheinlich. Weshalb in der "Koalition der Willigen" wie auf Nato-Ebene weiter darum gerungen wird, wie der Libyen-Einsatz weitergeht. Der Nato-Rat tagte erneut, auf der Agenda stand ein Beschluss zur weiteren Umsetzung der Uno-Resolution 1973, insbesondere der Punkte Flugverbotszone und Schutz von Zivilisten. Alle Entscheidungen in der Nato müssen einstimmig fallen.

Die Türkei lehnt das bisherige Vorgehen von Briten, Amerikanern und Franzosen ab, weil die Luftschläge weit über den Rahmen der Uno-Resolution hinausgingen. Gleichzeitig will sie wie auch andere Nato-Staaten nicht akzeptieren, dass dem Militärbündnis nur eine operative Kommandorolle zukommt, während die politische Entscheidungsgewalt woanders liegt.

Das aber wollen die Franzosen, die nach dem Vorbild der Afghanistan-Mission Isaf für Libyen eine Mission planen, die "technisch" in den Händen der Nato liegt, aber deren politisches Mandat ein Gremium bestimmt, dem auch arabische Staaten angehören.

Der heftige französische Widerstand dagegen, die Operation "Odyssey Dawn" komplett unter Nato-Kommando zu stellen, beruht vordergründig auf der Annahme, die Nato sei im arabischen Raum weitgehend diskreditiert. Mindestens ebenso wichtig dürfte dem Élysée indes sein, das Heft nicht aus der Hand zu geben, solange die Intervention Erfolg versprechend zu sein scheint. Gerät sie ins Stocken, wird man in Paris froh sein, die Verantwortung der Nato zu übertragen.

Doch auch auf der anderen Seite des Atlantiks herrscht Ratlosigkeit, wenn der US-Präsident versucht, die Kapazitäten seines Landes kleinzureden. "Wir können nicht jedes Problem der Welt lösen", so Barack Obama. Die "Bildung dieser internationalen Koalition", der unter anderem Frankreich, Großbritannien und einige arabische Länder angehören, sei "so wichtig gewesen, weil das bedeutet, dass die Vereinigten Staaten nicht alle Kosten tragen können".

Doch während bei Republikanern wie Demokraten die Kritik an der Entscheidung des Weißen Hauses lauter wird, die Militäraktion zur Errichtung der Flugverbotszone in Libyen in der Anfangsphase faktisch zu leiten, lässt eine Einigung über die künftige Kommandostruktur auf sich warten. Obamas Telefonate mit Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy, dem britischen Premier David Cameron und dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayip Erdogan zeitigen für den Moment keinen greifbaren Fortschritt.

Dabei steht Obama unter massivem Druck, dass ihn sein Ziel, der Regimewechsel in Tripolis, politisch nicht zu teuer kommt. Der konservative Sender Fox News berechnet bereits, dass allein die bis Dienstag abgefeuerten 161 Tomahawk-Marschflugkörper jeweils eine bis 1,5 Millionen Dollar kosten. Das über Libyen abgestürzte F-15-Jagdflugzeug schlägt mit 75 Millionen Dollar zu Buche. Das Center for Strategic and Budgetary Assessments, eine unabhängige Denkfabrik in Washington, kalkuliert die Gesamtkosten der Flugverbotszone auf bis zu 300 Millionen Dollar pro Woche. Gaddafi gibt sich all dessen ungeachtet weiter unbeugsam. "Am Ende werden wir siegen", sagte der Revolutionsführer in der Nacht zu Mittwoch in einer im Fernsehen übertragenen kurzen Ansprache. "Wir sind bereit für den Kampf, ob er kurz oder lang sein wird." Es war sein erster öffentlicher Auftritt seit Beginn der Luftangriffe des westlichen Militärbündnisses. Die Angreifer bezeichnete er als "Faschisten", die auf dem "Müllhaufen der Geschichte" landen würden.

Luftangriffe der Koalition zwangen libysche Regierungstruppen unterdessen dazu, sich aus der Stadt Misrata zurückzuziehen. Das wäre eine Wende in der seit Sonnabend andauernden Militäroperation. Bislang haben deren Luftangriffe die Gaddafi-treuen Truppen nicht davon abgehalten, die Rebellen unter Feuer zu nehmen.

In der Aufständischen-Metropole Bengasi organisierte sich indes der Übergangsrat, die politische Organisation der Gaddafi-Gegner, zu einer "provisorischen Regierung". Bislang zögerte man diesen Schritt hinaus, um nicht den Eindruck zu erwecken, das Land spalten zu wollen. Die Aufständischen streben ein einheitliches Libyen ohne Gaddafi an.