Libyens Diktator Gaddafi lässt Elitetruppen auf Demonstranten schießen. Von Marokko bis Dschibuti breiten sich Proteste in arabischer Welt aus

Tripolis/Hamburg. Blutiges Wochenende in Libyen: Mit brutaler Gewalt haben Elitetruppen in Libyen die Gegner von Machthaber Muammar al-Gaddafi zusammengeschossen. Der Revolutionsführer ließ Augenzeugen zufolge seine Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren und Panzerfäusten auf die Bevölkerung schießen und sogar Trauermärsche angreifen. Nach Berichten der Opposition starben binnen zweier Tage mindestens 200 Menschen, doch der Protest breitet sich wie ein Flächenbrand aus.

So habe sich in Bengasi, der zweitgrößten Stadt des Landes, ein Teil der Soldaten den Aufständischen angeschlossen. Einige Städte sollen nach Angaben von Oppositionellen ganz oder zum Teil "befreit" sein. Von unabhängiger Seite ließen sich diese Informationen jedoch nicht verifizieren. In Libyen gibt es kaum ausländische Journalisten. Daneben wurden die meisten Internetverbindungen gekappt. Der arabische Sender al-Dschasira berichtete von bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Bengasi. Augenzeugen sprachen davon, dass sich die Stadt in eine "Kriegszone" verwandelt habe. "Es ist ein riesiges Massaker, es ist einfach schrecklich", sagte ein anderer Augenzeuge. 50 führende muslimische Geistliche aus Libyen forderten die Behörden in einem Appell auf, das Blutvergießen zu beenden. "Bringt nicht eure Brüder und Schwestern um. Stoppt das Massaker jetzt", hieß es in ihrer Erklärung.

In al-Baidha im Osten sollen dem Vernehmen nach außer den Regimegegnern inzwischen auch bewaffnete Verbrecherbanden auf den Straßen unterwegs sein. Angeblich sollen an den Kämpfen in der Ostregion unter anderem Soldaten aus dem Tschad, aus dem Senegal, aus Zentralafrika, Simbabwe und Sierra Leone beteiligt sein. Vor dem Obersten Gericht in der libyschen Hauptstadt Tripolis demonstrierten gestern Anwälte, Richter und Staatsanwälte gegen den Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten. Das berichteten Augenzeugen. Libyen macht eine ausländische Verschwörung für die Unruhen verantwortlich. Die staatliche Nachrichtenagentur Jana verbreitete die Meldung, die Sicherheitskräfte hätten Angehörige einer Verschwörergruppe festgenommen, darunter Palästinenser, Tunesier und Sudanesen. Es sei möglich, dass der israelische Geheimdienst seine Finger im Spiel habe. Dass Gaddafi bald stürzen könnte, bezweifeln internationale Experten. Immer wieder lässt er seine getreuen Anhänger Gegenkundgebungen in den großen Städten des Landes abhalten und sich huldigen.

Wegen der anhaltenden Unruhen warnt das Auswärtige Amt in Berlin erstmals vor Reisen in den Osten Libyens. Wie das Außenamt auf seiner Internetseite mitteilte, ist die Lage insbesondere in den Städten Bengasi, al-Beyda, Dernah und Tobruk gefährlich. Den sich im Land aufhaltenden Deutschen wird die Ausreise empfohlen.

Die Proteste gegen autoritäre arabische Regierungen ziehen immer weitere Kreise. In Bahrain machte die Opposition den Perlenplatz in der Hauptstadt Manama nach dem Rückzug der Armee wieder zum Zentrum ihrer Proteste. Tausende Menschen versammelten sich auf dem Platz und forderten erneut den Rücktritt der Regierung. Dem Dialogangebot von Kronprinz Salman bin Hamad al-Chalifa stand die Opposition weiter skeptisch gegenüber. Die mehrheitlich schiitische Bevölkerung Bahrains bemängelt Diskriminierungen und fordert von der sunnitischen Herrscherdynastie Reformen. Im Jemen demonstrierten erneut Hunderte Studenten vor der Universität der Hauptstadt Sanaa gegen die Regierung von Staatschef Ali Abdallah Saleh. Am Sonnabend war in Aden ein 16-Jähriger nach Angaben eines Arztes tödlich von einer Kugel getroffen worden. In Sanaa waren zudem zahlreiche Studenten durch Schüsse verletzt worden.

In Algerien schlugen Sicherheitskräfte in Algier einen Protestmarsch der Opposition nieder, wobei etwa ein Dutzend Menschen verletzt wurde. Rund 200 Demonstranten drangen dennoch auf den Platz des 1. Mai vor. Auch ein Abgeordneter der Oppositionspartei RCD wurde schwer verletzt, wie die Partei mitteilte.

Im ostafrikanischen Dschibuti wurden nach offiziellen Angaben bei gewaltsamen Auseinandersetzungen bislang zwei Menschen getötet.

Auch in der tunesischen Hauptstadt Tunis gingen wieder rund 4000 Menschen auf die Straße, um den Rücktritt der Übergangsregierung von Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi zu fordern. "Das Volk will den Sturz des Regimes", riefen die Demonstranten. Dieses bestehe noch immer aus dem Stab des gestürzten Staatschefs Zine El Abidine Ben Ali.

In Marokko demonstrierten gestern Hunderte Menschen für demokratische Reformen. Bürgerinitiativen und Jugendgruppen hatten zum "Tag des Stolzes" mit Kundgebungen in etwa 20 Städten aufgerufen. Sie verlangten eine Einschränkung der Macht des Königs Mohammed VI. Marokko hat eine vielfältige Parteienlandschaft und ein frei gewähltes Parlament. Die Macht der Regierung ist allerdings dadurch eingeschränkt, dass der König in wichtigen Fragen das letzte Wort hat.

In Ägypten forderte der Oppositionspolitiker Mohammed al-Baradei eine Aufhebung des seit drei Jahrzehnten währenden Ausnahmezustands.