Oppositionelle rufen nach dem Vorbild der Nachbarländer zu Protesten in Libyen, Iran und Bahrain auf. Exodus aus Tunesien gestoppt

Berlin. Die amtliche libysche Nachrichtenagentur gab sich wie üblich staatstragend: Anhänger des seit 1969 regierenden Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi, 68, hätten in der Hauptstadt Tripolis, in Bengasi und anderen Städten demonstriert. Das streng zensierte Staatsfernsehen lieferte dazu die passenden Bilder: Hunderte Gaddafi-Claqueure schwenken enthusiastisch Fahnen und Fotos ihres Führers.

Was die Staatsmedien nicht berichteten und der privaten Zeitung "Kuriyna" überließen: Vorangegangen waren Proteste von rund 2000 Menschen, die nach dem Vorbild ihrer Nachbarländer aufbegehrten. Mindestens 38 Menschen seien dabei verletzt worden, zehn von ihnen Polizisten. Es sollte wohl nur eine Generalprobe sein für den heute anberaumten "Tag des Zorns", zu dem via Facebook aufgerufen wurde. Die Gruppe "Revolte des 17. Februar 2011" hat in dem sozialen Netzwerk bereits 10 000 Anhänger.

Der arabische Nachrichtenkanal al-Manara vermutete, die Festnahme des Rechtsanwalts Fathi Terbil habe die Proteste ausgelöst. Er vertritt Familien, deren Angehörige im berüchtigten Gefängnis Abu Salim in Tripolis einsitzen, vor allem Regierungsgegner und Islamisten. 1996 waren in diesem Gefängnis 1000 Häftlinge bei einer Revolte niedergemetzelt worden. Terbil ist nun wieder frei, berichtete "Kuriyna", doch die Menschen hätten ihre Demonstration kurzerhand umgemünzt und skandiert: "Das Volk wird die Korruption beenden", verknüpft mit der Rücktrittsforderung von Premier Baghdadi al-Mahmudi. Gaddafi habe zunächst nicht im Zentrum der Proteste gestanden. Das ist auch zu gefährlich.

Die Clanstruktur in Libyen spricht eher für einen Sturz hinter den Kulisssen der Machtelite als für eine öffentliche Volksrevolte. Der schillernde Autokrat mit einem Faible für prächtige Fantasie-Uniformen hat zudem jederzeit die Möglichkeit, dank des Öl-Reichtums seines Wüstenstaates den Protesten durch großzügige Zuwendungen oder Senkungen der Lebensmittelpreise die Wucht zu nehmen. Diesmal aber wird er wohl politische Zugeständnisse machen: Taktiker Gaddafi will offenbar 110 Mitglieder der verbotenen militanten "Libyschen Islamischen Kampfgruppe" aus dem berüchtigten Abu-Salim-Gefängnis freilassen.

Im Iran betrauert die Opposition den Tod des 26-jährigen Saneh Dschaleh. Das gestrige Begräbnis des Teheraner Kunststudenten, dessen "Märtyrertum" sowohl die Regime-Schläger der Bassidsch-Miliz als auch die Opposition für sich reklamieren, geriet zu einer Machtprobe zwischen beiden Lagern. Tausende hatten am Montag ihre Solidarität mit den Demonstranten in Tunesien und Ägypten gezeigt, das Regime schlug zu: Dschaleh und ein weiterer Demonstrant wurden dabei erschossen. Morgen will das Mullah-Regime mit staatstreuen Gegendemonstrationen reagieren.

In Bahrain strömten nach dem Tod zweier Demonstranten mehrere Tausend Schiiten in die Straßen der Hauptstadt Manama. Sie schlossen sich einer Trauerprozession für Fadel Matrouk an, der von Sicherheitskräften erschossen worden war. Tausende campieren in Zelten auf dem zentralen Platz Manamas. Die Demonstranten in Bahrain waren am Montag einem Aufruf der Opposition zu einem "Tag des Zorns" gefolgt. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit in der kleinen Golfmonarchie wirft der sunnitischen Führungsschicht Diskriminierung vor. Die Demonstranten fordern den Rücktritt von Scheich Chalifa bin Salman Al-Chalifa, der das Land seit der Unabhängigkeit im Jahre 1971 regiert, mehr Arbeitsplätze, die Freilassung aller politischen Gefangenen und inzwischen sogar die Abschaffung der konstitutionellen Monarchie.

Der Exodus aus Tunesien in Richtung der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa scheint unterdessen gestoppt, dafür stehen Italien und Europa noch vor vielen Problemen. So bleibt die Situation auf der kleinen Felsinsel südlich von Sizilien weiter angespannt. "Wir stehen vor dem Kollaps", sagte der Bürgermeister der Insel, Dino de Rubeis. Lampedusa sei überflutet von Immigranten. Auch die Leiterin des italienischen Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR), Laura Boldrini, warnte, "den seidenen Faden nicht zu überspannen". Die EU hielt ihre Hilfsangebote an Italien aufrecht, doch zur eventuellen Aufnahme der Migranten gab es ein Nein aus Wien und Berlin.