Wie die Ereignisse in Ägypten Außenminister Guido Westerwelle bei seiner Premiere in New York überraschten

New York. Das Ambiente mit den schlichten, blau gepolsterten Stühlen, dem schweren cremefarbenen Teppichboden und den holzvertäfelten Wänden ist neu für Guido Westerwelle. An dem berühmten Halbrund des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in New York hat er vorher noch nie Platz nehmen dürfen. Seit dem 1. Januar, seit Deutschland zum fünften Mal nicht ständiges Mitglied im Sicherheitsrat ist, gehört der deutsche Außenminister zu den mächtigen 15 Staatsvertretern im wichtigsten Uno-Gremium.

Bei seiner Premiere muss er sich ein wenig gedulden - und noch ahnt er nicht, dass seine Rede von der Geschichte nur um wenige Minuten überholt wird. Eine Stunde lauscht er den Vorrednern, dann ist er an der Reihe.

"Perfekt" passe diese Diskussion zur Lage südlich des Mittelmeers, sagt Westerwelle und geht in die Offensive. Die internationale Gemeinschaft könne Ägypten jetzt Hilfe anbieten beim demokratischen Übergang. Bei diesen Worten lehnt sich der chinesische Uno-Botschafter behäbig zurück und atmet sichtbar tief durch. An keinem anderen Tisch sitzen gegensätzlichere Welten so nah beieinander. Westerwelle wird beim Thema Ägypten noch konkreter. Deutschland sei bereit zu kooperieren. "Europa hat eine Partnerschaft für eine Transformation angeboten. Wir sind bereit, unser Angebot mit Leben zu füllen." Es ist kurz nach elf Uhr New Yorker Zeit, als Westerwelle schließt. Einige Augenblicke später wird ihm ein Zettel mit der Nachricht gereicht, Ägyptens Präsident Husni Mubarak habe seinen Rücktritt erklärt. Lange hält es Westerwelle nun nicht mehr auf seinem blauen Sessel. Nach wenigen Minuten spricht er vor Kameras von einem historischen Umbruch, von einem politischen Neuanfang.

Noch vor Wochen, als der Außenminister erstmals seinen ersten Auftritt im Weltsicherheitsrat plante, hatte er nicht im Ansatz damit gerechnet, dass dieser frostige Freitag in New York eine solche Bedeutung einnehmen würde. Auf dem Weg zur Uno hatte Westerwelle die Nachricht erreicht, Mubarak würde möglicherweise noch am Donnerstagabend seinen Rücktritt erklären. Im Regierungs-Airbus nach New York hatte er danach noch an seinem Redebeitrag gefeilt. Und auch nach Mubaraks Erklärung vom Donnerstag, weiter im Amt verharren zu wollen, legte sich der Außenminister noch einmal die Formulierungen zurecht. Angesichts der sich weiter zuspitzenden Lage Ägyptens würden seine Worte noch mehr Gewicht bekommen. Auch wenn er - historisch gesehen - einige Minuten zu früh im Sicherheitsrat gesprochen hat, sieht Westerwelle sich jetzt am richtigen Ort zur richtigen Zeit. In diesem Moment, nach der bahnbrechenden Nachricht, sind die Vereinten Nationen der augenscheinlich beste Ort, um als Außenminister Profil zeigen zu können. Ob ihm aber sein Auftreten im Sicherheitsrat in historischer Stunde auch zu Hause in den Landtagswahlkämpfen helfen kann, ist fraglich. In der Ägypten-Krise konnte er daheim bislang keine Punkte machen. Seine Arbeit im Außenamt bewerten die Deutschen in Umfragen so kritisch wie zuvor. Von den Grünen musste er sich zuletzt anhören, er sei im Nahen Osten viel zu zaghaft vorgegangen. Westerwelle kann darüber nur den Kopf schütteln. Es sind nun mal auch Wahlkampfzeiten. In der Uno ist die Suche nach der Balance im Fall Ägyptens noch schwieriger als in Deutschland. Die Minuten nach dem Rücktritt Mubaracks sind dafür beispielhaft: Als die Medien längst ausführlich berichten, spricht bei der Sicherheitsratssitzung niemand die sich überschlagenden Ereignisse an. Es gibt nicht einmal einen Zwischenruf. Es ist ein grotesker Moment.

Sicher scheint dennoch, dass die Staatengemeinschaft rasch wieder vor der Aufgabe stehen wird, ein abgestimmtes Signal in den Nahen Osten zu senden. Schon an diesem Freitag in New York hätte man annehmen wollen, dass alle Außenminister der 15 Sicherheitsratsmitglieder über den Nahen Osten beraten. Aber so ist es nicht. Die Vetomächte USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien haben nur ihre Uno-Botschafter zu der Sitzung entsandt, die eigentlich als offene Debatte auf Ministerebene angesetzt wurde. Auf diese Weise würden die Vetomächte ihre gesonderte Macht im Sicherheitsrat gern auch mal zur Schau stellen, heißt es. Das wichtigste Gremium der Welt ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Bundesregierung bemüht sich daher gemeinsam mit Indien, Brasilien, Japan und Südafrika, die Uno-Struktur aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu reformieren. Man steht aber noch ganz am Anfang, die 192 Mitglieder davon zu überzeugen, dass man den Sicherheitsrat neu aufstellen muss.

Für Prozesse wie diesen hat Westerwelle auch Zeit. Für andere nicht. In einer Woche schon wird man ihn wieder in seiner Rolle als FDP-Chef messen. Dann wählt Hamburg eine neue Bürgerschaft. Wenn den Liberalen der Einzug ins Stadtparlament gelingt, kann Westerwelle vorerst ohne erneute Führungsdebatte davonkommen. Erleidet die FDP in der Hansestadt wieder eine Pleite, wird man nach Schuldigen suchen - und sie natürlich auch in Berlin finden. Westerwelle weiß das.

Doch in den geschichtsträchtigen blauen Stühlen des Sicherheitsrats könnte das deutsche Superwahljahr kaum ferner sein. Und angesichts der denkwürdigen Stunden in Ägypten wirkt die Woche bis zur Hamburg-Wahl wie eine Ewigkeit. Wahlkampf für die FDP müssen erst einmal andere machen. Schon am heutigen Sonnabend wird Westerwelle in Tunesien eintreffen. Jetzt ist die arabische Welt der beste Ort, Präsenz und Profil zu zeigen.