China kritisiert die neuen Militärmanöver der USA und Südkoreas

Hamburg/Seoul. Die Nerven der verängstigten Menschen auf der kleinen südkoreanischen Insel Yeonbyeong liegen blank. Am Freitag hörten jene 30 von ursprünglich 1600 zivilen Bewohnern, die noch nicht aufs Festland geflohen sind, aufs Neue den Geschützdonner nordkoreanischer Artillerie. "Wir nehmen an, dass es sich um Schießübungen handelt", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Südkoreas Hauptstadt Seoul.

Am Dienstag hatte Nordkoreas Armee die Insel mit fast 200 Granaten beschossen; vier Menschen starben im Feuer, mindestens 15 wurden zum Teil schwer verletzt.

Der Feuerüberfall, der die Koreanische Halbinsel in die schwerste Krise seit Ende des Koreakrieges 1953 gestürzt hat, war eine Reaktion auf südkoreanische Seemanöver nahe der umstrittenen Seegrenze Northern Limit Line (NLL) zwischen beiden Staaten.

Am Sonntag sollen viertägige amerikanisch-südkoreanische Manöver mit mehr als 70 000 Soldaten in dem Gebiet beginnen. Nordkoreas Regime ließ am Freitag über die staatliche Nachrichtenagentur KCNA erklären, die koreanische Halbinsel werde durch diesen "rücksichtslosen Plan schießwütiger Elemente" näher an den Rand eines Krieges getrieben. "Die Streitkräfte und das Volk sind total wütend über die Provokation der Marionettengruppe und machen sich dazu bereit, das Bollwerk der Feinde mit Feuer zu überschütten und in die Luft zu jagen."

Zugleich warf Pjöngjang dem Süden noch einmal vor, das Artilleriefeuer provoziert zu haben, da zuerst südkoreanische Granaten auf nordkoreanischem Gebiet gelandet seien. Pjöngjang hat die von der Uno 1953 gezogene Seegrenze nie anerkannt. Die Führung in Peking, einziger Verbündeter des Regimes in Pjöngjang, warnte die USA und Südkorea vor einem Eindringen in die "ausschließliche chinesische Wirtschaftszone". Damit ist ein Meeresgebiet von 200 Seemeilen bis zur Küste gemeint, in dem ein Staat die alleinige Nutzung von Ressourcen beansprucht.

Am Donnerstag hatte Chinas Regierungschef Wen Jiabao vor "jeglichen provozierenden militärischen Übungen" gewarnt. Außenminister Yang Jiechi brachte in einem Telefonat mit seinem südkoreanischen Amtskollegen Kim Sung-hwan seine Besorgnis über das Manöver zum Ausdruck. Einen für Freitag geplanten Besuch in Seoul hat Yang Jiechi abgesagt. Im Juli hatte der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-il angesichts eines amerikanisch-südkoreanischen Großmanövers mit einem "Heiligen Krieg" und dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Nordkorea verfügt mutmaßlich über acht bis zwölf einfache Nuklearsprengkörper.

Südkoreas Regierung hat eine "drastische" Verstärkung der Bodentruppen entlang der Grenze zu Nordkorea angeordnet. Ein Beschluss aus dem Jahre 2006 zur Reduzierung der Marineinfanterie soll rückgängig gemacht werden. Wie die Nachrichtenagentur Yonhap meldete, hat Südkorea bereits zusätzliche 1,23 Milliarden Dollar für den Ankauf von weiteren fahrbaren Panzerhaubitzen des südkoreanischen Typs K-9 und von amerikanischen F-15K-Kampfflugzeugen bereitgestellt.

Die größte Gefahr für Südkorea in einem Kriegsfall besteht außer in einem möglichen Atomwaffeneinsatz Pjöngjangs in dem Umstand, dass die Hauptstadt Seoul in Reichweite der nordkoreanischen Artillerie liegt.

Die USA haben sich der Verteidigung Südkoreas verpflichtet und haben 28 000 Soldaten dort stationiert. Eine Marine-Kampfgruppe um den Flugzeugträger "George Washington" mit seinen 75 Kampfflugzeugen soll ab Sonntag an dem Manöver teilnehmen.

Als Verbündeter des Regimes in Pjöngjang ist Peking in einer schwierigen Lage. Chinas Wirtschaft ist eng mit der westlichen - und der südkoreanischen - verflochten. Die noch vor Deutschland größte Exportnation der Welt ist auf einen florierenden Außenhandel angewiesen. China hält zudem Devisenreserven im Wert von gut 2,5 Billionen Dollar; drei Viertel davon in US-Dollar, den Rest vor allem in Euro und Yen. Eine weltweite Krise aufgrund eines neuen Koreakrieges ist schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht im Interesse Chinas. Zudem muss das Land für diesen Fall eine Welle von Flüchtlingen aus Nordkorea befürchten.

Andererseits kann es sich China nicht leisten, den langjährigen Verbündeten fallen zu lassen. Der Westen jedoch sieht Peking nach der Versenkung einer südkoreanischen Korvette mit 46 Toten im März durch einen Torpedo aus Nordkorea, dem forcierten Ausbau des Atomprogramms und der neuerlichen Aggression an der Grenze nun in der Pflicht, Nordkoreas Regime zu zügeln.