Wieder ein Staat vor der Pleite. EU spricht von “80 bis 90 Milliarden Euro“ Finanzhilfe

Hamburg/Dublin. Jetzt also doch: Nach langem Zögern hat das hoch verschuldete Irland als erstes Land offiziell einen Notfallkredit aus Mitteln des Rettungsschirms der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds beantragt. Die Finanzminister des Euro-Raums und der EU, die gestern in einer Telefonkonferenz tagten, signalisierten am späten Abend ihre Zustimmung. Irlands Finanzminister Brian Lenihan sagte, der Betrag liege unter 100 Milliarden Euro.

Der irische Ministerpräsident Brian Cowen wollte keine genaue Summe nennen, bestätigte aber, die Einzelheiten des Rettungspakets würden kurzfristig in den nächsten Wochen zu Ende verhandelt. An das irische Volk gerichtet, sagte er in Dublin: "Wir sollten nicht die Größe unserer wirtschaftlichen Probleme unterschätzen."

Aus Kreisen der EU-Finanzminister hieß es, dass die Iren "80 bis 90 Milliarden Euro" benötigten. Griechenland hatte im Mai 110 Milliarden Euro erhalten. Dieses Geld stammte jedoch noch nicht aus dem 750 Milliarden Euro schweren Rettungsschirm der EU, sondern aus einem gesonderten Hilfspaket.

Der Rat der Europäischen Zentralbank begrüßte die Aktion. Das Hilfspaket werde dazu beitragen, die Stabilität des irischen Bankensystems zu gewährleisten, erklärte das Gremium. Nach Ansicht der Währungshüter wird damit auch die Stabilität in der Euro-Zone und der EU insgesamt gewahrt.

Irland (4,4 Millionen Einwohner) hat wegen der Spätfolgen der Finanz- und Immobilienkrise in diesem Jahr absehbar ein Haushaltsdefizit von 32 Prozent, ihm droht der Staatsbankrott. Insgesamt 50 Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt sind zur Stützung der kollabierten Kreditinstitute notwendig. Allein bei deutschen Banken stehen die Iren insgesamt mit mehr als 100 Milliarden Euro in der Kreide.

Die Zinsen, die Irland für die Kredite zahlen muss, werden um die fünf Prozent liegen, verlautete aus EU-Kommissionskreisen. Das ist deutlich unter den Marktzinsen, die Dublin derzeit zahlen muss, und entspricht in etwa den Zinsen, die auch Griechenland für die EU-Hilfe aufbringen muss. Eine Anhebung der Unternehmenssteuern - deren niedriger Satz zahlreiche Firmen auf die Insel gelockt hat und der anderen EU-Ländern daher ein Dorn im Auge ist - schloss der irische Finanzminister aus. Es zeichnet sich aber ab, dass sich die Bürger des Inselstaates auf deutliche Kürzungen im Sozialbereich gefasst machen müssen.

In Deutschland stieß die Bitte der Iren auf Zustimmung. "Es war höchste Zeit, dass Irland den EU-Rettungsschirm in Anspruch nimmt. Mit jeder Verzögerung vergrößern sich die Probleme", sagte Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI, dem Abendblatt. "Das Land hat zu lange zugelassen, dass sich Spekulanten mit irischen Staatsanleihen eindeckten, die mit neun Prozent sehr gut verzinst werden mussten." Der Wirtschaftsexperte erwartet, dass nun auch bald Spanien, Portugal und Italien milliardenschwere Staatshilfen beantragen werden. SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht gar die Stabilität der Gemeinschaftswährung in Gefahr. "Die Euro-Zone droht zu zerbrechen", sagte er "Bild am Sonntag".

Aus Sicht von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) kann eine europäische Lösung der irischen Schuldenprobleme eine Ausbreitung der Krise auf andere Staaten der Euro-Zone verhindern. Schäuble: "Wenn wir jetzt eine richtige Antwort auf die irischen Probleme finden, dann ist die Chance groß, dass es diesen Ansteckungseffekt nicht geben wird."