Irlands Premier Cohen lehnt Hilfen der Europäischen Union in Schuldenkrise nicht länger ab. Verhandlungen in Entscheidungsphase

Brüssel. Briten gelten normalerweise nicht als hilfsbereit - jedenfalls nicht, wenn es um die Belange der Europäischen Union (EU) geht. Unvergessen ist, wie sich Margaret Thatcher, einst Premierministerin des Vereinigten Königreichs, das Mitwirken der Insel an der Europäischen Union vorstellte: "I want my money back", sagte die Eiserne Lady ("Ich will mein Geld zurück."). Seither galt das Motto als unverrückbare Leitlinie britischer Europapolitik. Bis gestern jedenfalls, als George Osbourne dem irischen Nachbarn plötzlich Finanzhilfe anbot. "Wir werden tun, was in unserem nationalen Interesse liegt", sagte der Finanzminister. Irlands Probleme sind so groß, dass sie weit mehr als nur die Interessen der Euro-Zone gefährden. Europa hat Angst um den Euro.

Deutlich lässt sich das an der Aufregung sehen, die seit Ende vergangener Woche in der EU herrscht. Mit allem Personal, das die EU zu bieten hat, versucht sie, Irland davon zu überzeugen, endlich einen Hilfsantrag zu stellen. Lange blieb das kleine Land stur. Nationaler Egoismus statt Sorge um die gemeinsame Währung. Europaweit fürchtete man die Folgen dieses Starrsinns. "Jeden Tag, den das Land länger mit seinem Hilfsantrag wartet, steigt die Ansteckungsgefahr für Portugal", hieß es gestern in Berlin. Die Botschaft ist klar: Ewig dürfen die Iren nicht zaudern, wenn sie nicht die gesamte Euro-Zone in Gefahr bringen wollen. Und wenn die nicht überlebt, "wird die EU nicht überleben", warnt der Belgier Herman Van Rompuy, der Führer der 27 EU-Regierungschefs. Es ist ein Katastrophenszenario.

Spätestens am 4. Dezember, möglicherweise auch eine Woche früher, will die irische Regierung ihre Finanzplanung für die nächsten vier Jahre vorlegen. "Spätestens dann muss sie die EU-Hilfen beantragt haben", heißt es in Brüssel. Im Prinzip ist das Hilfsprogramm schon unter Dach und Fach, sodass es sofort in Kraft gesetzt werden könnte. Es liege nur an den Iren. Irgendjemand muss im Laufes des gestrigen Vormittags auch Brian Cowen die Brisanz der Lage verdeutlich haben. Jedenfalls lehnt der irische Premier seitdem Hilfe nicht mehr rundweg ab.

Verständlich war Cowens Zögern schon. Am 25. November - also in gut einer Woche - stehen in Irland Parlamentswahlen an. Wer wählt schon die Partei eines Bittstellers, wird er sich gefragt haben. Davon aber einmal abgesehen, drohen den Iren mit einem Hilfspaket von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds (IWF) ein Verlust an Souveränität sowie harte Einschnitte. Die Griechen zum Beispiel mussten sich eine höhere Mehrwertsteuer sowie niedrigere Beamtengehälter von den internationalen Helfern diktieren lassen. Trotzdem bleibt den Iren kaum eine Alternative. Die Zahlen sind eindeutig: In diesem Jahr wird die Neuverschuldung auf sagenhafte 32 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Dabei hat der Staat - anders als etwa das marode Griechenland - nicht über seine Verhältnisse gelebt.

Er hat nur eine völlig verfehlte Wirtschaftspolitik gefördert. Irland wurde zur Insel der Banken. Riesige Finanzkonzerne entstanden. Und weil es vielen davon seit der Finanzkrise schlecht geht, müssen der Steuerzahler und die Europäische Zentralbank (EZB) sie stützen. 130 Milliarden Euro hat die EZB im Oktober dem irischen Bankensystem geliehen.

Jedem ist klar, dass die Iren allein diese Lage nicht stemmen können. Manches erinnert an Islands Zusammenbruch. Eigentlich könnte Europa sagen, was gehen uns Irlands Banken an. So einfach aber ist das nicht, wie das gar nicht so uneigennützige britische Hilfsangebot zeigt: Die Banken des Vereinigten Königreichs sind mit fast 150 Milliarden Dollar die größten Investoren in irischen Staatsanleihen. Deutschlands Geldhäuser folgen mit fast 140 Milliarden Euro. Alle Beteiligten fürchten eine Kettenreaktion, die bei Irlands Banken beginnt, auf den Staat überspringt und dann die Finanzinstitute der Euro-Zone trifft. Gerade erst aus der Immobilienkrise gerettet, würden einige wohl erneut wackeln - und mit ihnen wieder die gesamte Wirtschaft. Irland hat dagegen kritisiert, die von Deutschland vorangetriebene Debatte um einen dauerhaften Krisenmechanismus mit privater Gläubigerhaftung habe die Finanzmärkte in Unruhe versetzt und die schwächelnden Euro-Staaten belastet.

In Deutschland lässt man das nicht auf sich sitzen. Er habe derzeit genug damit zu tun, solche Unterstellungen "in aller gebotenen Form höflich, aber deutlich zurückzuweisen", sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beim Treffen der Finanzminister in Brüssel. Und Leo Dautzenberg, der finanzpolitische Sprecher der CDU, ergänzte: "Für Deutschland ist klar, dass der Steuerzahler nicht für alle Krisen aufkommen kann und darf." Wenigstens in diesem Punkt sind sich die Regierungspartner von Union und FDP dieses Mal einig.