Gewalt stürzt Demokratische Republik Kongo ins Chaos. Massenvergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung

Hamburg/New York. Vier bewaffnete Männer stürmten in die Hütte von Anna Mburano in dem kongolesischen 2000-Seelen-Nest Luvungi, prügelten die anwesenden Kinder zu Boden und vergewaltigten die Frau vor den Augen der Kinder immer und immer wieder. Anna Mburano ist ca. 80 Jahre alt.

Die "New York Times", deren Korrespondent diese Szene vom 30. Juli beschrieb, wusste zudem zu berichten, dass die Täter zusammen mit Hunderten anderer Marodeure von Haus zu Haus gingen und mindestens 240 Frauen und Kinder brutal vergewaltigten.

Vergewaltigungen gehören traditionell zum "Kriegshandwerk" in der Demokratischen Republik Kongo, dem früheren Zaire. Dieser drittgrößte Flächenstaat Afrikas mit seinen 70 Millionen Einwohnern erlebte bereits 2006 bis 2009 eine beispiellose Welle der Gewalt gegenüber Frauen - das Hilfswerk Heal Africa betreute in diesem Zeitraum allein 12 000 Fälle, geht aber von 120 000 Vergewaltigungen aus. Die meisten Frauen wenden sich aus Angst und Scham nicht an die überwiegend mit Männern besetzten Behörden.

In jüngster Zeit haben sich die Angriffe wieder verstärkt. Was am 30. Juni in Luvungi an Gräueln begonnen hatte, ging noch drei Tage lang weiter und wiederholte sich Anfang August noch einmal. Die Täter bestanden aus ruandischen Rebellen, die das Gebiet seit Jahren terrorisieren, sowie kongolesischen Aufständischen der Gruppe Mai Mai Cheka. Die Friedenstruppe der Vereinten Nationen, die mit 18 000 Soldaten in dem Bürgerkriegsland stationiert ist, unterhielt sogar einen kleinen Außenposten in dem Ort. Doch die Blauhelme konnten den geschändeten Frauen nicht helfen. Mitte Juli war die reguläre kongolesische Armee plötzlich aus Luvungi abgezogen und hatte die Menschen ohne Schutz vor Rebellen und kriminellen Banden gelassen. Wie die Uno später erfuhr, zogen die Soldaten nach Bisie ab, wo es eine riesige Zinnmine gibt. Dort erpresste die Armee dann illegale Steuern - eine weit einträglichere Tätigkeit als der Wachdienst in dem öden Kaff Luvungi.

Inzwischen hat die Regierung in Kinshasa mehrere Minen im Osten Kongos vorübergehend geschlossen, um den Banden finanziell das Wasser abzugraben. Doch die Regierung kontrolliert weite Gebiete des teilweise gescheiterten Staates gar nicht, der zu den ärmsten Ländern der Erde zählt. Seit 1885 wurde der Kongo rücksichtslos ausgebeutet und verheert - erst durch die Kolonialmacht Belgien, dann durch die 32 Jahre währende Tyrannei Mobuto Sese Sekos sowie mehrere Bürgerkriege. Das multinationale Gemetzel zwischen 1997 bis 2002 ging als "Afrikanischer Weltkrieg" in die Annalen ein.

Und derzeit treiben wieder Rebellengruppen ihr Unwesen - es geht um Gold, Zinn, fruchtbares Land und um politische Vorteile. Die kongolesische Armee bemüht sich, Rebellengruppen in ihre Reihe zu integrieren - doch diese Stabilisierungsstrategie hat zunächst einen gegenteiligen Effekt. Denn je entsetzlicher der Ruf einer Bande ist, desto mehr kann sie bei Aufnahmeverhandlungen mit der Armee für sich herausschlagen. Der Körper der Frau wird auf diese Weise zum Schlachtfeld. Der indische Arzt und Diplomat Atul Khare, seit dem 30. April stellvertretender Uno-Generalsekretär für Friedensmissionen, hat Luvungi gerade besucht. "Ich fühle mich persönlich schuldig gegenüber den Menschen, die ich getroffen habe", sagte Khare anschließend. "Sie haben mir erzählt: 'Wir sind vergewaltigt worden, wir sind Brutalitäten unterworfen worden - gebt uns Frieden und Sicherheit.' Ich sagte ihnen: 'Unglücklicherweise kann ich das nicht zusagen.'" Die Schwedin Annika Hilding-Norberg, Direktorin einer Ausbildungsstätte für Friedensmissionen im US-Staat Virginia, sagte, der Kongo werde in Fachkreisen "das afrikanische Äquivalent zu Afghanistan" genannt. Beamte der Vereinten Nationen bezeichnen die sexuelle Gewalt im Kongo als die schlimmste der Welt. Die Uno-Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Frauen und Kinder in Konflikten, die Schwedin Margot Wallström, die derzeit den Kongo bereist, sprach von der "Vergewaltigungsmetropole der Welt" und forderte den Sicherheitsrat zum Handeln auf.

Die "New York Times" zitierte die amerikanische Bürgerrechtlerin Eve Ensler, Autorin der weltberühmten "Vagina Monologe", die selber als Kind von ihrem Vater vergewaltigt wurde, mit der trüben Einschätzung: "Der Kongo ist die Krone des Versagens der Vereinten Nationen." Enslers Organisation V-Day betreut seit Jahren missbrauchte kongolesische Frauen.

Vor Kurzem räumte auch Vizegeneralsekretär Atul Khare das eklatante Versagen der Uno-Blauhelme im Juli und August ein. Und erklärte die Uno-Mission im Kongo für gescheitert.