Der Kreml will den umstrittenen Bürgermeister Juri Luschkow offenbar absetzen

Moskau. Der Konflikt zwischen dem mächtigen Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow und dem Kreml geht in die dritte Woche, doch die von vielen erwartete, von manchen erhoffte Entscheidung, den Stadtchef aus dem Amt zu entlassen, ist bisher nicht gefallen.

Es ist eine anonyme Stimme, die die russische Innenpolitik derzeit am Kochen hält. Niemand nennt den Namen, der sich dahinter verbirgt, aber alle Medien berufen sich auf sie und verorten sie im Kreml. Es geht die Vermutung um, dass es sich dabei um Wladislaw Surkow handeln könnte. Der stellvertretende Vorsitzende der Kremladministration ist für die Gestaltung der Innenpolitik zuständig.

"Die Stimme" hatte den Bürgermeister Juri Luschkow zunächst verwarnt, weil er einen Keil zwischen Premier und Präsident habe treiben wollen. Dem folgte umgehend eine schmutzige Medienkampagne des staatlichen Fernsehens, die die Vermutung nahelegte, der Stadtchef werde gefeuert.

Das Letzte, was "die Stimme" bisher zu sagen hatte, war ein Kommentar zum Urlaub, in dem sich Luschkow gegenwärtig befindet. Ja, er habe den Urlaub offiziell bewilligt bekommen, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax einen "Vertreter der Kremladministration". Dafür habe man Verständnis. "Es ist klar, dass Juri Michailowitsch eine schwierige Periode in seinem Leben durchmacht, er braucht natürlich Zeit zum Nachdenken", hieß es. Über seinen bevorstehenden Rücktritt?

Den hat der seit 18 Jahren in Moskau herrschende Luschkow vehement zurückgewiesen. Solange er das Vertrauen seiner Wähler habe, werde er bleiben, und zwar bis zum Ende seiner Amtszeit im kommenden Jahr, sagte er kurz vor seinem Abflug nach Österreich, wo er am Dienstag im Kreise seiner Familie seinen 74. Geburtstag beging. Die Atmosphäre in der russischen Hauptstadt ist allerdings so angeheizt, dass sein Pressesprecher Gerüchte dementieren musste, Luschkow werde nicht aus dem Ausland zurückkommen. Das sei "völliger Unsinn".

Allerdings hatte Luschkows Gattin Jelena Baturina, die einzige Milliardärin Russlands, schon vor geraumer Zeit einen Teil ihres Vermögens in dem Alpenstaat angelegt. In Kitzbühel kaufte sie für 25 Millionen Euro den Golfplatz Eichenheim nebst Luxushotel, in Aurach ein Ferienhaus. Beides wurde über eine Stiftung mit Sitz in Österreich erworben, um das Ausländergrundverkehrsgesetz zu umgehen, das Ausländern derlei Besitz untersagt.

Das Dementi hatte also durchaus Gründe. Es war auch deshalb sehr wichtig, weil es laut Gesetz ein Entlassungsgrund ist, wenn der Chef einer Region, in diesem Falle Moskaus, seinen permanenten Wohnsitz im Ausland nimmt. Den Eindruck wollte der schlaue Regionalpolitiker strikt vermeiden. Auch ein weiterer Angriffspunkt wurde entschärft. Indem das Moskauer Stadtparlament Luschkow kurz vor seiner Abreise seiner Treue versicherte und sich gegen die "tendenziöse Kampagne in den Massenmedien" wandte, kann die Ablehnung durch das Regionalparlament nicht mehr als Entlassungsgrund herhalten. Das steht hinter Luschkow.

Dennoch blieben Präsident Dmitri Medwedew genügend Hebel. Laut Gesetz darf der Herr im Kreml seine Regionalchefs auch absetzen, wenn sie sein persönliches Vertrauen verloren haben. Doch Medwedew zögert. Er wirkt unentschlossen.

Das Ehepaar Luschkow-Baturina spielt geschickt mit der Situation. Es dient sich dem starken Mann Russlands, Premier Wladimir Putin, an und versucht, einen Widerspruch zum Präsidenten zu konstruieren, der so vermutlich gar nicht existiert. Luschkow hatte den Kreml schon vor über zwei Wochen verärgert, indem er seine eigene drohende Entlassung als Intrige des Kreml gegen den Premier interpretierte. Seine Gattin verband die Kampagne mit der Präsidentenwahl 2012. Der Kreml habe schlicht Angst, sagte sie. Er fürchte, der Bürgermeister mit seinem Einfluss könnte sich auf die Seite Putins schlagen. Und damit die Chance Medwedews zunichte machen.

Der Oppositionspolitiker Wladimir Milow scheint allerdings der Wahrheit näher zu sein. Der Kreml wolle Luschkow loswerden, weil der über ein trillionenschweres Budget und weitere wichtige Ressourcen gebietet, meinte er. Das mache Moskau zu einem Filetstück in Russland. Dieses Filetstück möchte der Putin-Clan, zu dem Milow zufolge auch Medwedew gehört, nicht auf Dauer einem Mann überlassen, der in Umfragen als Einziger dem Führungstandem nahekommen kann.