Vor 30 Jahren duldet das Regime in Polen offiziell die Gewerkschaft Solidarnosc. Andrzej von Borne war dabei. Heute lebt er in Hamburg

Hamburg. Andrzej von Borne kommt mit einer Bitte zum Gespräch. Er holt ein kleines Buch aus seiner Aktentasche, setzt seine schmale, randlose Brille auf und blättert auf die Seite 14. Er liest dann mit leiser, aber bestimmter Stimme und polnischem Akzent die Verse: "wir schauen ins antlitz des hungers ins antlitz des feuers des todes / und ins ärgste gesicht von allen - in das des verrats / und nur unsre träume sind gedemütigt worden."

Das, sagt von Borne dann, das schrieb der polnische Dichter Zbigniew Herbert - und er drückt am besten die damals zerstörten Hoffnungen nach einem demokratischen Polen aus. "Vielleicht können Sie das ja in Ihren Artikel einbringen?", fragt er höflich. Die Gewerkschaft Solidarnosc wurde wenige Monate zuvor verboten - mehr als ein Jahr nach ihrer offiziellen Gründung am 17. September 1980. Im Dezember 1981 rief die Kommunistische Partei den Kriegszustand über Polen aus. Das Regime ließ Dissidenten verhaften, auch den späteren Präsidenten Lech Walesa. Zu viel hatten Arbeiter, Bauern und Studenten an Demokratie gewagt. Am Ende waren es zehn Millionen, die mit der Solidarnosc stritten.

Einer von ihnen war Andrzej von Borne. Als die ersten Danziger Werftarbeiter im Sommer 1980 gegen die Diktatur demonstrierten, war er Mitte 30 und arbeitete als Anwalt. "Mein Herz war auf der Seite der Freiheitsbewegung", sagt er. Mit einigen Kollegen zog er zu den Streikenden vor das Tor der Werft und brachte Wurst und Brot für die Arbeiter mit. Alkohol war verboten, der Protest sollte friedlich bleiben.

Und er war erfolgreich. Vorerst. Im August erkannte die Regierung im Danziger Abkommen eine unabhängige Gewerkschaft an. Auch in Leipzig, Dresden und Berlin trugen die Menschen Aufnäher der Gewerkschaft. "Doch die Kommunisten ahnten schon die Bedrohung durch die Bewegung", erzählt von Borne. In der Nacht zum 13. Dezember 1981 wurden Telefonleitungen gekappt und mit dem Kriegsrecht rollten Panzer der Armee durch die Städte. Die Demokratie ging in den Untergrund. Und Andrzej von Borne zog als Anwalt mit den inhaftierten Oppositionellen vor Gericht. Etwa zwei Dutzend Fälle hatte er. "Bei manchen Studenten ging es nur darum, milde Strafen rauszuholen", sagt er. Bei den Spitzen der Solidarnosc ging es vor allem um eines: die Fortsetzung der Regimekritik vor Gericht. "Wir versuchten, die Verhandlungen öffentlich zu machen", sagt von Borne.

Acht Jahre widersetzte sich die Solidarnosc - erst illegal, dann siegesbewusst - dem System. Im Juni 1989 gab es erste halbwegs freie Wahlen in einem Ostblockstaat - sie endeten mit einem Sieg der Solidarnosc. "Die Sprengung des Eisernen Vorhangs", sagt von Borne. Damals lebte er schon in Hamburg. 1985 reiste er aus zu Freunden. Denn auch gegen ihn sollte ermittelt werden - wegen "Übertretung der Freiheit" während der politischen Prozesse, wie es in der Sprache des Regimes hieß. Ein Jahr später kamen seine Frau und sein Sohn nach. Am 3. Oktober - dem Tag, an dem die Deutschen später ihre Wiedervereinigung feiern.