Drogenbande ermordet 72 Männer und Frauen, die nicht für sie arbeiten wollten. 28 000 Todesopfer bei Kämpfen zwischen Militär und Kriminellen

Hamburg. Wer als Soldat in der mexikanischen Armee dient, hat womöglich weit mehr Erschossene gesehen als die kämpfende Truppe in Afghanistan. Der erbarmungslose Krieg zwischen den mächtigen Drogenkartellen und den Sicherheitskräften des mittelamerikanischen Landes hat seit 2007 28 000 Menschen das Leben gekostet.

Doch der Anblick, der der Armee jetzt auf einem abgelegenen Bauernhof nahe der Stadt San Fernando im nördlichen Bundesstaat Tamaulipas zuteil wurde, dürfte selbst hartgesottene Krieger zutiefst erschüttert haben. In einem großen, offenen Raum der Ranch saßen oder lagen 72 Leichen entlang der Wände, teilweise übereinandergestapelt. Die 58 Männer und 14 Frauen waren alle erschossen worden.

Es handelt sich um Immigranten aus Brasilien, Ecuador, Honduras und El Salvador, die illegal über die nahe texanische Grenze in die USA einreisen wollten. Ein Mann mit einer Schusswunde war auf eine Straßensperre der mexikanischen Marineinfanterie zugetorkelt und hatte von einem Massaker und einer kriminellen Bande berichtet.

Die Marine entsandte sofort Einheiten zu dem Bauernhof, wo ein Feuergefecht entbrannte. Nach Militärangaben wurden dabei ein Offizier und drei Kriminelle getötet. Ein Jugendlicher wurde festgenommen, die anderen Täter konnten entkommen.

Am Tatort wurden außer einem Waffenlager auch vier Lastwagen sowie Flecktarn-Uniformen und schusssichere Westen gefunden. Luis Fredy Lala Pomavilla aus Ecuador - der einzige Überlebende des Massenmordes - berichtete, die Immigranten seien auf ihrer Reise von den Kriminellen abgefangen worden, die sich als Angehörige der Zeta-Bande bezeichnet hätten. Man habe sie als Handlanger und Auftragskiller rekrutieren und ihnen dafür 2000 Dollar im Monat zahlen wollen. Als die Männer und Frauen dies abgelehnt hätten, seien sie erschossen worden. Nur ihm sei die Flucht gelungen.

Nach seinem Amtsantritt 2006 hatte Mexikos Präsident Felipe Calderón den Kampf gegen die übermächtigen sieben Drogenkartelle massiv intensiviert. Diese Kartelle sind teilweise untereinander verfeindet; der Kampf gegen die Armee und die Konkurrenten fordert einen hohen Blutzoll. Deshalb sind die Drogenbanden dazu übergegangen, illegale Immigranten, die in Mexiko niemand vermisst, zwangsweise zu rekrutieren. Rund eine halbe Million Menschen durchqueren pro Jahr Mexiko auf der Suche nach einem besseren Leben in den Vereinigten Staaten.

Nach Angaben der mexikanischen Menschenrechtskommission wurden allein zwischen September 2008 und Februar 2009 rund 10 000 Menschen von den Drogenhändlerbanden entführt. Viele von ihnen werden ermordet. Im Juli waren nahe der Stadt Monterrey im Norden 51 verscharrte Leichen entdeckt worden, im Mai fand man bei Taxco im Süden 55 Tote in einer stillgelegten Silbermine.

Die mutmaßlichen Täter der Zeta-Bande gehören zu den grausamsten Kriminellen in diesem Mehrfrontenkrieg. Die "Los Zetas" bestehen aus Mitgliedern ehemaliger Elitetruppen und früheren Angehörigen einer Drogenbekämpfungseinheit, die die Fronten gewechselt haben. Ursprünglich wurden sie vom Golf-Kartell angeheuert, machten sich aber selbstständig und kooperieren jetzt mit dem Beltran-Leyva-Kartell. Die Zetas gelten als technologisch weit entwickelt und absolut skrupellos. Im August hatte die Polizei bereits ein Massengrab mit sieben, nach anderen Quellen sogar 19 Opfern der Zetas gefunden. Diese Bande ist auch eine Kooperation mit der kalabrischen 'Ndrangheta eingegangen. Europas mächtigste Mafia, die auch in Nord- und Südamerika, Russland und Australien aktiv ist, hat einen geschätzten Jahresumsatz von 44 Milliarden Euro.

Summen von vergleichbarem Ausmaß sind im Drogenkrieg in Mexiko im Spiel. Das Land ist Transitgebiet für rund 90 Prozent des gesamten in die USA geschmuggelten Kokains. Ein geringer Teil der Drogen wird in Mexiko selber angebaut und hergestellt.

Gegen die rund 300 000 Angehörigen der mexikanischen Drogenkartelle und ihrer hochgerüsteten Milizen - neben dem Golf-Kartell, der Beltran-Leyva-Organisation und den Los Zetas sind dies La Familia Michoacana sowie das Juarez-Sinaloa- und Tijuana-Kartell - hat die Regierung Calderón 40 000 Soldaten und 5000 Polizisten aufgeboten. Bis zum Frühjahr 2010 hat es bereits mehr als 120 000 Festnahmen gegeben. "Wir sind mitten in einer kriminellen Spirale, die wir kappen müssen", sagte Calderón jetzt vor Bürgermeistern mexikanischer Städte.

Die im Drogenkrieg verwendeten Waffen - neben Sturmgewehren auch Granatwerfer und anderes schwere Gerät - stammen zu fast 90 Prozent aus den USA. Da die Gewalt zunehmend auch über die Grenze schwappt, unterstützt US-Präsident Barack Obama Calderóns Kampf mit 1,6 Milliarden Dollar innerhalb von drei Jahren. Die USA liefern der mexikanischen Armee auch Blackhawk-Kampfhubschrauber.