In Pakistans Überschwemmungsgebieten werden die Lebensmittel knapp. Die Helfer brauchen dringend Hubschrauber, um die Menschen zu versorgen

Hamburg/Islamabad. Wer das Flüchtlingslager erreicht, hat noch Glück. Rund um die Stadt Sukkur in der südpakistanischen Provinz Sindh gibt es zahlreiche Camps. Allein in dem Lager, das Pakistans Armee führt, haben 4000 Menschen Zuflucht vor den Überschwemmungen und deren Folgen gesucht. Sie leben in Zelten nahe einer Autobahnüberführung, zweimal am Tag werden Lebensmittel ausgegeben, Wasser wird verteilt. Auch hier gibt es Tote, auch hier waschen Familienangehörige in den Zelten die Leichen für die Beerdigung. Doch die Situation am Rand der Stadt - außerhalb der Lager - ist noch schlimmer. Menschen campieren am Straßenrand. Sie schlafen in Hängematten; alles, was sie haben, liegt neben ihnen auf dem Boden. Nur ab und zu kommen Hilfskräfte vorbei und bringen ihnen Lebensmittel.

Und die Warnungen vor neuen Überschwemmungen reißen nicht ab. In der Provinz Sindh soll der Fluss Indus erneut über die Ufer treten. Eine weitere Flut rollt an. "Wir stecken mitten im Krieg gegen die Fluten", sagte der Minister für Bewässerung in Sindh, Jam Saifullah Dharejo. Aus den gefährdeten Gebieten wurden bereits Zehntausende Menschen in Sicherheit gebracht, Tausende Helfer versuchten, den Indus mit Barrieren und Dämmen in Schach zu halten. Pakistan kämpft seit nunmehr einem Monat gegen die schlimmsten Überschwemmungen seiner Geschichte. Die Angaben über die Toten variieren zwischen 1200 und 1500 Menschen. Doch mit der Flut nimmt die Katastrophe erst ihren Anfang. Schätzungen der Vereinten Nationen (Uno) zufolge sind bis zu 20 Millionen Menschen von den Fluten betroffen. Rund ein Fünftel des Landes wurde überschwemmt, fünf Millionen Menschen verloren ihre Häuser. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) benötigen 4,5 Millionen Menschen dringend ein Obdach.

Während Pakistans Präsident Asif Ali Zardari bereits den Zeitraum für den Wiederaufbau auf mindestens drei Jahre bemisst, sind viele Menschen in dem Land noch von der ersten Hilfe abgeschnitten. "Etwa 800 000 Menschen haben noch überhaupt keine Hilfe erhalten, weil sie in Gebieten sind, die bislang nicht erreicht werden konnten", sagt Ralf Südhoff vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) dem Hamburger Abendblatt. Viel wurde in den vergangenen Wochen darüber berichtet, dass die Menschen nur zögerlich für die Opfer in Pakistan spendeten - einem Staat, der schon seit Jahren vor allem durch den Kampf gegen den Terror und durch seinen Konflikt mit Indien Schlagzeilen macht. Es ist ein zerrissenes Land, in dem in einigen Regionen die Taliban de facto die Herrschaft übernommen haben. Mit all dem müssen die zahlreichen Hilfsorganisationen vor Ort kämpfen. Doch für Südhoff steht fest: Das schärfste Problem sind nicht die Sicherheitslage in den Regionen und nicht die Taliban. "Die größte Schwierigkeit, mit der wir derzeit kämpfen, ist die Logistik", sagt er. Mindestens 40 Schwerlasthubschrauber seien nötig, um die verzweifelten Menschen mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen.

Der Pakistan-Verantwortliche des WFP, Wolfgang Herbinger, erklärte, in den kommenden zwei Monaten seien für Luftbrücken mindestens 30 große Maschinen nötig. Vor allem die Versorgung mit Lebensmitteln ist laut WFP kritisch. "Die Nahrungsmittelpreise haben sich teils verdreifacht", sagt Südhoff. "Viele Menschen, die nicht von den Überschwemmungen betroffen sind, können sich kaum noch Essen leisten." Allein 200 000 Stück Vieh seien bisher in den Fluten ertrunken. Wahrscheinlich seien es sogar Millionen. Die Schäden für das Land würden sich erst berechnen lassen, wenn die Überschwemmungen zurückgehen.

Das Land braucht weiter akute Hilfe, um gegen die Katastrophe anzukämpfen. Unicef geht inzwischen von einem dreifach höheren Nothilfebedarf aus als zunächst angenommen. Rund 141 Millionen US-Dollar (111 Millionen Euro) würden benötigt. Bisher hätten 770 000 Kinder und Frauen Schutzimpfungen etwa gegen Masern, Polio und Tetanus von Unicef-Helfern erhalten. 1,9 Millionen Menschen würden mit Trinkwasser versorgt. Doch auch Unicef beklagt, dass bei Weitem noch nicht genügend Hilfsgüter zur Verfügung stünden. Die pakistanische Regierung hat islamistischen Gruppen verboten, Hilfslager im Nordwesten des Landes zu errichten. "Wir wollen nicht, dass die Militanten und verbotene Gruppen den von dem Hochwasser Betroffenen Hilfe leisten und Vorteile daraus ziehen, weil sie Sympathien der lokalen Bevölkerung genießen, um dann das ganze Land zu zerstören", sagte der Sprecher der Provinz, Mian Iftikhar Hussain.

Gerade zu Beginn der Flutkatastrophe war die Kritik am Krisenmanagement vor allem durch den pakistanischen Präsidenten groß. Doch die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und Mitarbeitern der Regierung funktioniere sehr gut, sagt Ralf Südhoff vom Welternährungsprogramm. Es sind kleine Lichtblicke, doch schon für die kommenden Tage sagen Meteorologen weitere Regenfälle voraus.