Ob Waldbrände oder untergegangene U-Boote - Russlands Bürger haben Erfahrung mit der zumeist verheerenden Informationspolitik der Regierungsbehörden

Hamburg. In der russischen Feuerkatastrophe haben die Moskauer Behörden zum ersten Mal seit Tagen eine leichte Entwarnung geben können. Der Leiter des nationalen Krisenzentrums, Wladimir Stepanow, teilte gestern mit, die Zahl der Feuer in Wäldern und Torfgebieten sei leicht auf 560 zurückgegangen. Darunter seien 60 Großfeuer.

Immer noch stehen in Russland rund 80 0000 Hektar in Flammen - angeblich 10 000 weniger als am Vortag. Vor allem am Ural ist die Lage noch verzweifelt. Dort brennen immer noch Dörfer. Am Vortag hatten die Behörden zum ersten Mal eingeräumt, was Umweltschützer längst gemeldet hatten: dass inzwischen auch Gebiete in Brand stehen, die bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 radioaktiv verstrahlt worden waren. Krisenmanager Stepanow versicherte jedoch, dass von diesen Bränden keine Gefahr durch erhöhte Strahlenwerte ausgingen und dass sie innerhalb eines Tages gelöscht werden würden.

Die russische Bevölkerung misstraut üblicherweise jedoch beschwichtigenden Verlautbarungen der Behörden in den häufigen Katastrophenfällen im größten Flächenland der Erde - und dies aus gutem Grund. In der Regel wird zunächst verschwiegen, getäuscht und verharmlost - ein Erbe der sowjetischen Geheimniskrämerei. Besonders eklatant war dies im Falle Tschernobyls. Die Havarie in der damaligen Ukrainischen Sowjetrepublik gilt als schwerste Umweltkatastrophe der Geschichte. Schätzungen reichen bis zu 100 000 Todesopfern - Menschen, die sofort oder an den Folgen der Verstrahlung starben. Mehrere Zehntausend Tote dürfen wohl als gesichert gelten. Drei Tage nach der Explosion sagte Parteichef Michail Gorbatschow auf einer geheimen ZK-Sitzung: "Wenn wir die Öffentlichkeit informieren, sollten wir sagen, dass das Kernkraftwerk gerade renoviert wurde - damit kein schlechtes Licht auf unsere Ausrüstung geworfen wird." Unmittelbar nach dem Unglück wurden rund 200 000, später bis zu 800 000 Aufräumarbeiter ("Liquidatoren") eingesetzt, die wenig über die mörderische Strahlung informiert wurden. Tausende von ihnen erhielten eine unmittelbar tödliche Strahlendosis oder starben später an Krebs. Bis zum Ende der UdSSR wurden die Folgen der Katastrophe als Staatsgeheimnis behandelt, und noch heute gibt es keine erschöpfende Auskunft von staatlicher Seite.

Gestern gedachten zahlreiche Menschen in Moskau des Untergangs des hochmodernen russischen Unterwasserkreuzers "Kursk" vor zehn Jahren. Der gigantische 14 000-Tonner, ein mit Marschflugkörpern bestücktes Atom-U-Boot, versank nach zwei Explosionen mit 118 Mann bei einem Manöver in der eisigen Barentssee. Aus Geheimhaltungsgründen gab Moskau das Unglück erst nach zwei Tagen bekannt, erklärte gar, die Besatzung sei wohlauf. Ausländische Hilfe wurde abgelehnt, die Regierung behauptete, ein US-Kriegsschiff habe "K-141" gerammt. Tatsächlich war ein defekter Torpedo im Bug explodiert. 23 Männer überlebten die Detonationen noch, erstickten aber später in einer abgeschotteten Sektion. Die schließlich doch noch in Anspruch genommene ausländische Hilfe kam für sie zu spät. Über Hintergründe und Verantwortliche des Dramas schweigt sich Moskau bis heute aus.

Im vergangenen August explodierte in Russlands größtem Wasserkraftwerk am Sajanao-Schuschensker Stausee in Sibirien eine Turbine und durchschlug eine Decke. Ähnlich einem Tsunami rollte eine Wasserwalze durch die Anlage, vermutlich mehr als 70 Menschen starben. Wie die Zeitung "Kommersant" damals meldete, hätten die Behörden Anfragen von verängstigten Anwohnern mit der Behauptung beschieden, es handle sich um eine Routineschutzübung. Das Blatt meldete weiter, ein Ingenieur habe bereits 1988 Zweifel an der Stabilität der Statik geäußert - doch nichts geschah.

In einer Studie des russischen Zivilschutzministers Sergej Schoigu hatte es bereits 2004 geheißen, aufgrund des erbarmungswürdigen Zustands der russischen Industrieanlagern sei mit rund 900 "technogenen Katastrophen" pro Jahr zu rechnen.

Grob vernachlässigter Brandschutz und schlampige Wartung waren die Ursache einer weiteren schweren Havarie - des Infernos in dem 537 Meter hohen Moskauer Fernsehturm Ostankino am 27. August 2000. Das in 463 Meter Höhe ausgebrochene Feuer fraß sich rasend schnell durch das einst höchste Gebäude der Welt und zerstörte einen Großteil der 180 Stahlseile, die das Gebäude innen stabilisieren. Der Einsturz des 55 000 Tonnen schweren Turms wurde befürchtet - und hastig eine 700 Meter breite Zone in der Stadt evakuiert. Vier Menschen starben, als die Tragseile eines Fahrstuhls schmolzen und dieser 300 Meter in die Tiefe raste. Erst nach 26 Stunden erlosch das Feuer.