Ankara will Macht der Offiziere auch wegen der EU-Ambitionen weiter beschneiden

Istanbul. Als General Isik Kosaner im Jahr 2008 Chef der türkischen Landstreitkräfte wurde, nutzte er seine Antrittsrede, um der Regierung eine scharf formulierte Warnung zu verabreichen. Die Armee, so sagte er, werde von "gewissen Kreisen" angegriffen, die den säkularen Staat unterhöhlten und den Kampf gegen kurdischen Terrorismus behinderten. Gemeint war die Regierung. Diese Angriffe, so betonte er, würden "im Angesicht unserer Entschlossenheit" scheitern. Kosaner empfahl sich damit als politischer Hardliner, und er verteidigte den Anspruch des Militärs, die Politik zu lenken: "Der Schutz der grundlegenden Eigenschaften der Republik kann nicht als Einmischung in die Innenpolitik betrachtet werden", sagte er damals.

Es ist nur drei Jahre her, und doch scheint es eine Ewigkeit. Damals war die islamisch geprägte Regierungspartei AKP gerade knapp an einem Parteiverbot wegen "islamischer Umtriebe" vorbeigeschrammt, war aber vom Verfassungsgericht zu einer empfindlichen Geldbuße verurteilt worden. So waren Kosaners selbstbewusst drohende Worte ein Zeichen der Zeit - er sprach direkt vor den Spitzen der AKP-Regierung, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Präsident Abdullah Gül.

In vier Wochen wird Kosaner Generalstabschef sein und damit der Mann, der die eigentliche Macht im Land hätte - wenn die Türkei noch das Land wäre, das sie einmal war. Seit 2005 setzt die Regierung alles daran, das Militär politisch zu entmachten. Unter anderem dient die EU-Beitrittskandidatur diesem Ziel. Ein anderes Mittel ist ein endloser Prozess gegen zahlreiche ehemalige und aktive Militärs, denen Putschpläne vorgeworfen werden.

Die Armee steht als politische Institution mit dem Rücken zur Wand. Nach Meinung des Militärexperten Gareth Jenkins ist die Armeeführung so sehr in der Defensive, dass sie sich ganz darauf konzentriert, überhaupt "ihre" Leute in den Spitzenpositionen zu halten. Um das sicherzustellen, ist Kritik an der Regierung versiegt. Kosaners Ernennung zum Generalstabschef wird offiziell heute erwartet. Es könnte das letzte Mal sein, dass das Militär seinen eigenen Wunschkandidaten durchsetzen kann.

Die Regierung will mit der Axt in der Hand durchs Offizierskorps gehen und alle, die im Putsch-Verfahren angeklagt sind, von Beförderungen ausschließen. Das betraf bislang elf Generale und Admirale. Ein Verfassungsreferendum im September soll zudem die Macht des Obersten Militärrats einschränken, die Personalpolitik der Armee ohne Einspruchsmöglichkeit zu diktieren. Danach kann sich die Regierungspartei daranmachen, ihre eigenen Leute in die Armeeführung zu schleusen.

Kann Kosaner als Generalstabschef diese Entwicklung rückgängig machen, wie er es 2008 zu wollen schien? Sein Spielraum ist denkbar gering. Ein Putsch kommt nicht infrage. Nur ein Wahlsieg der Opposition in zwei Jahren kann der Armee noch helfen, aber noch scheint die AKP die Gunst der Wähler zu genießen.