Während in Russland Wälder und Moore brennen, halten Umweltschützer die Ursachen der Katastrophe größtenteils für hausgemacht

Hamburg/Moskau. Wenn das stolze Russland Hilfe von außen annimmt, muss es schlecht stehen. Im Moment steht es wieder schlecht, denn die brennenden Wälder und Moore im europäischen Teil des Riesenlandes kosten immer mehr Opfer, richten immer größeren Schaden an und sind bisher nicht unter Kontrolle zu bringen. Die Ukraine schickt zwei Flugzeuge. Außerdem sollen zwei Hubschrauber aus Aserbaidschan mit dabei helfen, die Flammen zu löschen. Einen entsprechenden Erlass unterschrieb Präsident Dmitri Medwedew gestern bei einem Treffen mit Zivilschutzminister Sergej Schoigu. Auch Deutschland hatte Hilfe angeboten. So schlimm scheint es aus Sicht des Kremls aber noch nicht zu stehen. Auf das Angebot wurde bisher nicht reagiert.

Die Brände breiten sich aber weiter aus. Nach offiziellen Angaben sind bislang 41 Menschen ums Leben gekommen. Eine halbe Million Hektar Land steht in Flammen. Mehr als hunderttausend zivile Helfer und Tausende Soldaten sind im Einsatz.

Für die Hitze und die lang anhaltende Trockenheit kann niemand etwas. Und doch ist ein großer Teil der Katastrophe hausgemacht. Russland ist bisher nicht gerade als Vorreiter in Sachen Umweltschutz in Erscheinung getreten. Entsprechend ist auch der Bewusstseinsstand in weiten Teilen der Bevölkerung. Bei Picknicks im Wald wird auch bei höchster Brandgefahr am offenen Feuer gegrillt, werden Kippen oder Glasflaschen achtlos weggeworfen, wie Schoigu beklagte.

Doch auch der Staat ist nicht unschuldig. Unter der Präsidentschaft des heutigen Regierungschefs Wladimir Putin sei 2006 der Schutz der riesigen russischen Forsten dezentralisiert und für wirtschaftliche Zwecke gelockert worden, klagen die Oppositionellen. "Es ist gut für große Firmen mit guten Beziehungen zur Regierung. Sie können Bäume schnell fällen, Geld verdienen und verschwinden", kritisierte Alexei Jaroschenko von Greenpeace Russland. Durch das Gesetz seien die 70 000 Waldhüter abgeschafft worden, die sofort jeden Brand gemeldet hätten. Umweltschützer nennen den Holzverarbeiter Ilim die treibende Kraft hinter dem Forstgesetz. Leiter der Ilim-Rechtsabteilung war einst der heutige Präsident Dmitri Medwedew. Der US-Konzern International Paper Co ist zu 50 Prozent an Ilim beteiligt. Vielleicht trägt die Brandkatastrophe aber auch dazu bei, den Sinn für Umweltprobleme mehr zu schärfen, in einem Land, in dem zu Sowjetzeiten über geplatzte Ölpipelines oder explodierte Gasrohre einfach geschwiegen wurde, vom Treibstoff vergiftete Raketentriebwerke hinter dem Baikalsee in die Taiga fielen und achtlos liegen blieben oder die Zuflüsse des Aralsees fast vollständig für die Baumwollproduktion in Zentralasien umgelenkt wurden, bis der See beinahe ausgetrocknet war und in dem noch immer autoritär regiert wird..

Zumindest im Großraum der Hauptstadt regt sich Widerstand gegen Großprojekte der Regierung. Um einen alten Wald im Vorort Chimki, dort wo im Winter 1941 der deutsche Vormarsch endgültig zum Stehen kam, ist ein regelrechter Krieg um das Autobahnprojekt Moskau-St. Petersburg entbrannt. Umstritten ist dabei nicht die Notwendigkeit des Projektes, sondern der Trassenverlauf, dem der Wald von Chimki mit seinem alten Eichenbestand zum Opfer fallen soll. Sieben von 1000 Hektar sind schon gerodet.

Die Gegner des Projektes verlangen eine alternative Planung. Der Wald ist Teil der grünen Lunge der russischen Metropole mit ihren mehr als zehn Millionen Einwohnenrn und dank seines gemischeten Baumbestandes auch resistenter gegen Brände. Doch im Dickicht von Politik und Unternehmen ist wohl schon viel zu viel Geld geflossen. Außerdem lassen sich Staat und "durchsetzungsstarke Unternehmer" nur ungern von Bürgern reinreden. "Das endgültige Todesurteil für den Wald wurde mit einem Erlass Putins 2009 unterzeichnet, hier eine Schnellstraße bauen zu lassen", sagte Umweltschützerin Jewgenija Tschirikowa. Sein Engagement für den Wald von Chimki hat der Chef der Lokalzeitung "Chimkinskaja Prawda", Michail Beketow, Ende 2008 fast mit dem Leben bezahlt. Er wurde von einem Schlägertrupp in seinem Haus überfallen, lag danach monatelang im Koma und ist heute Invalide.

Auch in diesen Tagen ist die Lage wieder eskaliert. Erst stürmten Schlägertrupps ein Lager von Umweltschützern. Dann beschossen maskierte Linksextreme mit Rauchbomben und Gummigeschossen die Verwaltung von Chimki. "Rettet den russischen Wald", riefen sie. Festnahmen folgten, und der Druck dürfte mit dem neuen Geheimdienstgesetz, das den Behörden noch mehr Macht einräumt, weiter wachsen. Aber trotz oder gerade wegen all der Repressalien und Schikanen könnte der kleine Wald vor den Toren Moskaus zum Fanal für mehr zivilgesellschaftliches Engagement und Umweltbewusstsein in Russland werden.