Die internationale Konferenz in Kabul räumt Präsident Hamid Karsai mehr Kontrolle über Sicherheit und Finanzen des Landes ein

Kabul. Eigentlich hätte alles glattgehen sollen. Kein Anschlag, keine Raketen während der internationalen Konferenz in Kabul. Das wäre wichtig gewesen für den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Nicht nur, weil 40 Außenminister aus aller Welt und hochrangige Diplomaten zu Gast waren. Sondern auch, weil Karsai ein Signal nach außen setzen wollte, ja musste: Afghanistan kann selbst für seine Sicherheit sorgen.

Doch trotz massiver Vorkehrungen zum Schutz der größten Konferenz auf afghanischem Boden seit mehr als drei Jahrzehnten griffen Aufständische den Flughafen und das Diplomatenviertel mit Raketen an. Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon musste deswegen auf den rund 60 Kilometer entfernten Nato-Flughafen Bagram ausweichen. Zudem verhinderten Sicherheitskräfte einen Terroranschlag auf die Konferenz.

Auch wenn es offenbar nicht zu Schäden gekommen ist - der Makel für Karsai bleibt. Zumal seine Regierung bis 2014 für die Sicherheit im gesamten Land verantwortlich sein soll - und zwar ohne die Hilfe ausländischer Soldaten. Auf diese Weichenstellung verständigten sich gestern die Konferenzteilnehmer, darunter auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) und US-Außenministerin Hillary Clinton, mit Karsai. In einigen Gegenden soll die Zuständigkeit für die Sicherheit schon bis Ende des Jahres in afghanische Hände gelegt werden. Derzeit sind noch rund 150 000 ausländische Soldaten in dem Land am Hindukusch im Einsatz, um die radikalislamischen Taliban niederzuringen.

Bundesaußenminister Westerwelle nannte die Konferenz eine "wichtige Wegmarke". Besonders hob er hervor, dass sich die Staatengemeinschaft auf 2014 als Jahr für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen festgelegt hat. Schon bei seiner Ankunft in Kabul hatte er erklärt, mit diesem Plan sei die Bundesregierung auch dem Ziel nähergekommen, noch in dieser Legislaturperiode eine Abzugsperspektive für die deutschen Soldaten zu schaffen. Dem Abendblatt sagte der Außenminister allerdings: "Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung heißt weder sofortiger Abzug noch Ende unseres Engagements." US-Außenministerin Hillary Clinton bekräftigte, die ersten US-Soldaten sollten Afghanistan im Juli kommenden Jahres verlassen. "Das Datum Juli 2011 macht sowohl die Dringlichkeit als auch unsere Entschlossenheit deutlich", sagte Clinton. Zugleich betonte die US-Außenministerin, das Engagement ihrer Regierung in Afghanistan werde im Juli 2011 nicht enden.

Karsai aber geht es künftig nicht nur um mehr Verantwortung für die innere Sicherheit des Landes, sondern auch um mehr Verantwortung für den Einsatz der Hilfsgelder, die nach Afghanistan fließen. Spätestens in zwei Jahren sollten 50 Prozent der Entwicklungshilfezahlungen aus dem Ausland von seiner Regierung kontrolliert werden, erklärte er. Noch wird ein Großteil der Finanzhilfen über Hilfsorganisationen direkt in die Regionen geleitet, nur ein Anteil von 20 Prozent wird von den Afghanen verwaltet.

Der Grund ist der hohe Grad an Korruption in den afghanischen Behörden, das Land ist einer der korruptesten Staaten weltweit. Karsai kritisierte, es fehle an einer Koordinierung der zahlreichen Hilfsprojekte. Er gestand jedoch auch ein, dass die Regierungsfähigkeit des Landes verbessert werden müsse. Die Staatengemeinschaft hat ihm nun eine Reform des Finanzsektors und eine wirksame Korruptionsbekämpfung als Bedingung für mehr Mitsprache in Finanzdingen auferlegt. Bis Oktober 2010 muss die afghanische Regierung ein entsprechendes Konzept ausarbeiten. Citha Maass, Afghanistan-Expertin der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) kritisiert dieses Vorgehen dennoch: "Einen größeren Anteil der Hilfsgelder von der afghanischen Regierung kontrollieren zu lassen ist keine sinnvolle Strategie", sagte sie dem Abendblatt. "Nach wie grassiert Korruption in Afghanistan, und die Strukturen haben sich nicht verbessert." Auch für die Bundesrepublik sei es besser, die Hilfsgelder direkt nach Nordafghanistan in die Verantwortung deutscher Helfer zu geben. 2010 veranschlagt Deutschland rund 430 Millionen Euro für Entwicklungs- und Wiederaufbauhilfe.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Konferenz ist das bereits bei der letzten Afghanistan-Konferenz in London auf den Weg gebrachte Aussteigerprogramm für moderate Taliban. Die afghanische Regierung will in den nächsten fünf Jahren nach eigener Aussage 36 000 Aufständische in die Gesellschaft reintegrieren. Dafür sollen nach ihren Vorstellungen 773 Millionen US-Dollar (594 Millionen Euro) von der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt werden.

Zum einen ist vorgesehen, Taliban-Mitläufern den Ausstieg durch finanzielle und materielle Hilfe zu erleichtern. Zum anderen soll auch mit ranghohen Kommandeuren der Taliban über ein Ende der Gewalt verhandelt werden. Ihnen könnten unter anderem Straffreiheit und Exil in einem sicheren Drittstaat in Aussicht gestellt werden.