Die Opfer sind mehrheitlich sunnitische Sahwa-Kämpfer, die mit den USA al-Qaida bekämpfen

Bagdad. Dieses Mal waren die Sunniten dran. Während am letzten Wochenende Bombenanschläge gegen pilgernde Schiiten in Bagdad verübt wurden, ging es gestern gegen die Sunniten. Ein Selbstmordattentäter reihte sich in eine lange Schlange Wartender in Radwanija südwestlich der irakischen Hauptstadt ein, zündete seinen Sprengstoffgürtel und riss mindestens 48 Menschen mit sich in den Tod. Die Opfer waren mehrheitlich sunnitische Sahwa-Kämpfer, die in einer Allianz mit den Amerikanern erfolgreich al-Qaida bekämpfen und ihren Sold abholen wollten. In der sunnitischen Provinz Anbar, ebenfalls westlich von Bagdad und ehemalige Hochburg sunnitischer Aufständischer und al-Qaida, brachte ein weiterer Selbstmörder fünf Menschen um.

Schon in den letzten Wochen kam es in Anbar wieder vermehrt zu Angriffen auf Verantwortliche der Sahwa. Das Signal der Anschläge ist eindeutig: Rache den Abtrünnigen und die Aufforderung, wieder die Seiten zu wechseln.

Scheich Matlb Ali al-Mesary hat das vorausgesehen. "Die Sunniten sind tief gespalten, und das ist nicht gut", sagte al-Mesary. Die politische Situation sei instabil, sie wüssten nicht, ob sie überhaupt an der nächsten Regierung beteiligt sein werden. Er habe sich immer vor zu großer Nähe sowohl zu den Amerikaner, als auch zu der Regierung gefürchtet und damit seine Unabhängigkeit bewahrt. Als Präsident der "Vereinigung patriotischer Stämme Iraks" wollte er sich nicht parteipolitisch vereinnahmen lassen. Trotzdem habe er sich damals entschieden, bei den Provinzwahlen im Januar 2009 zu kandidieren, weil das im Interesse der Stämme sei, in ihren Verbreitungsgebieten auch politisch mitreden zu können. In Anbar besetzen Stammesführer seitdem die höchsten Positionen im Provinzparlament, stellen den Gouverneur und auch den Stellvertreter.

Die Verbesserung der Sicherheitslage im Irak ab Sommer 2007 wird verschiedenen Faktoren zugeschrieben. Nur wenige Experten halten den "Surge", die verstärkte militärische Präsenz der US-Armee, deren Rückbau zurzeit in vollem Gange ist, für den Hauptfaktor. Einigkeit besteht jedoch in der Analyse, dass die Aktivierung von irakischen Stämmen, ausgehend von der Provinz Anbar, den entscheidenden Beitrag zur Eindämmung und Vertreibung von al-Qaida geleistet hat.

Wie aus einem Strategiepapier der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft von 2008 hervorgeht, hat al-Qaida nicht nur Kämpfer vom Irak nach Afghanistan umgeleitet, sondern auch Teile ihres Führungskaders. Damit habe die internationale Al-Qaida-Führung gewissermaßen selbst die Bedeutung der mit den US-Truppen kooperierenden sunnitischen Stammesgruppen anerkannt, wie die Verfasserin des EU-Dokuments, Gudrun Harrer, schreibt. Die "Using the sheikhs politics" (Benütze die Scheichs) der Amerikaner war aufgegangen. Al-Qaida hat an Boden verloren.

103 000 Iraker waren beim US-Militär Ende 2008 offiziell als sogenannte "Söhne Iraks", wie die Amerikaner die Sahwa-Kämpfer allumfassend nennen, registriert und erhielten durchschnittlich 300 Dollar im Monat. Im Zuge des schrittweisen Rückzugs der US-Truppen soll nun die irakische Regierung die Verantwortung übernehmen und die Kämpfer bezahlen. Doch dieser Verpflichtung kommt sie nur unzureichend nach. Die Integration der Sahwa in die bestehenden Streitkräfte verläuft nur schleppend, die Löhne werden gar nicht oder nur mit Verspätung bezahlt.