Angeklagte sollen für Hinrichtungen und Folter verantwortlich sein

Ankara. Mehr als 30 Jahre nach dem Militärputsch in der Türkei hat am Mittwoch in Ankara der Prozess gegen die zwei noch lebenden Anführer des Staatsstreichs begonnen. Angeklagt sind der frühere Generalstabschef Kenan Evren, der von 1982 bis 1989 Präsident des Landes war, und der einstige Luftwaffenchef Tahsin Sahinkaya. Sie werden für Exekutionen, Folter und das Verschwindenlassen von Menschen unter dem Militärregime verantwortlich gemacht.

Die 94- und 86-jährigen Angeklagten sind schwer krank und erschienen nicht persönlich im Gerichtssaal. Im Falle einer Verurteilung drohen ihnen lebenslange Haftstrafen. Vor dem Gebäude versammelten sich mehrere Hundert Demonstranten. "Wir haben nicht vergessen, wir haben nicht vergeben", war auf einem der Transparente zu lesen. Im Verfahren gegen Evren und Sahinkaya hatten die Regierung, das Parlament und mehrere Parteien beantragt, als Nebenkläger auftreten zu dürfen. "Dieser Fall ist ein Meilenstein für die türkische Demokratie", sagte der Abgeordnete Selcuk Ozdag von der Regierungspartei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). "Er ist das Ergebnis des politischen Willens der Regierung."

Evren galt zunächst vielen Türken als Held, da er mit dem Putsch die eskalierenden Kämpfe zwischen links- und rechtsgerichteten Gruppen beendete. Damals war befürchtet worden, die Türkei steuere auf einen Bürgerkrieg zu. Während ihrer Herrschaft verübten die Streitkräfte allerdings zahlreiche Menschenrechtsverstöße und setzten eine Verfassung ein, die die Freiheitsrechte beschnitt und die Rolle des Militärs in der Politik formalisierte.

Nach offiziellen Angaben wurden in den Tagen nach dem Staatsstreich rund 650 000 Menschen festgenommen. 300 Häftlinge kamen im Gefängnis ums Leben, 171 erlagen offenbar ihren Verletzungen nach Folter. 49 weitere Menschen wurden hingerichtet. Ins öffentliche Bewusstsein hat sich eine Äußerung eingebrannt, mit der Evren damals die Exekutionen rechtfertigte: "Sollen wir diese Terroristen füttern, anstatt sie aufzuknüpfen?"

Noch vor wenigen Jahren wäre in der Türkei ein solcher Prozess undenkbar gewesen. Die Generäle, die nach wie vor unter ihrem osmanischen Titel "Pascha" bekannt sind, sahen sich jahrzehntelang als Wächter der säkularen Ordnung und des Erbes von Staatsgründer Kemal Atatürk. Zwischen 1960 und 1980 hatte das türkische Militär drei Putsche verübt. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bemüht sich, den Einfluss des Militärs zu beschneiden, das ihn und seine Partei mit islamistischen Wurzeln mit großer Skepsis sieht.