Gerüchte über Machtkampf und Militärputsch in Peking

Peking. Die bisher schwersten Beschränkungen für Chinas soziale Medien haben Internetnutzer geschockt und frustriert. Viele der 200 Millionen Nutzer der Twitter-ähnlichen "Weibo"-Kurznachrichtendienste beklagten gestern den Mangel an Meinungsfreiheit. Andere werteten die Einschränkungen als "kollektive Bestrafung" oder Warnung, dass die Diskussionen im chinesischen Internet jederzeit ganz abgeschaltet werden könnten. Ursache für die zunächst bis heute geltende "Säuberungsaktion" waren tagelange wilde Internet-Gerüchte über einen Putsch und einen Machtkampf in Peking.

Tatsächlich sind zumindest die Ermittlungen in dem Politkrimi um den vor zwei Wochen gestürzten Spitzenpolitiker Bo Xilai ausgeweitet worden. Der mysteriöse Tod eines britischen Unternehmensberaters mit engen Beziehungen zu Bos Familie löste neue Verdächtigungen aus. Neil Heywood soll um seine Sicherheit gefürchtet haben, nachdem er sich mit Bo Xilais Frau überworfen habe, berichtete das "Wall Street Journal". Er wurde Mitte November tot in seinem Hotelzimmer in Chongqing gefunden. Die Polizei attestierte "übermäßigen Alkoholkonsum" und äscherte ihn ohne Autopsie ein.

Der als Parteichef von Chongqing abgesetzte Bo sowie seine Frau Gu Kailai sollen derweil in Peking unter Hausarrest stehen. Der "Prinzling" ist Sohn des Revolutionsveteranen Bo Yibo. Die Absetzung des charismatischen Polit-Stars, der in dem Generationswechsel im Herbst eigentlich in das höchste Machtgremium - den Ständigen Ausschuss des Politbüros - aufrücken sollte, löste schwere Spannungen in der Führung aus. Mindestens ein Mitglied im Ständigen Ausschuss, der mächtige und für den Sicherheitsapparat zuständige Zhou Yongkang, soll dagegengestimmt haben. Beobachter glauben, dass dieser seltene Dissens und Bos gute Kontakte zum Militär die Putschgerüchte ausgelöst haben könnten.

Schlüsselfigur des Thrillers war der ehemalige Polizeichef von Chongqing, Wang Lijun. Er hatte Anfang Februar um ein Gespräch im britischen Konsulat gebeten, tauchte aber nicht auf. Stattdessen flüchtete der als "Super-Bulle" bekannte Weggefährte des Parteichefs von Chongqing am 6. Februar ins 300 Kilometer entfernt gelegene amerikanische Konsulat in Chengdu, weil er um sein Leben fürchtete. Dort habe er angegeben, Bo Xilai von dem Verdacht berichtet zu haben, dass der Brite vergiftet worden sein könnte. Die mögliche Verwicklung Bos Frau in den Tod Heywoods habe zu dem Zerwürfnis zwischen beiden geführt. Der Polizeichef habe vergeblich Material vorgelegt, um eine sichere Ausreise in die USA auszuhandeln. Nach einem Tag begab er sich in die Hände der Parteizentrale.

Auch die dubiose Rolle des Briten wirft Fragen auf. Heywood lernte die Familie in den 90er-Jahren kennen. Als Berater für ausländische Firmen soll Heywood Treffen mit Bo Xilai arrangiert haben. Es gibt den Verdacht, dass er der Familie geholfen haben könnte, einen Teil ihres Vermögens ins Ausland zu schaffen. Heywood arbeitete auch für die britische Firma Hakluyt, die von früheren Mitgliedern des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 gegründet worden war.