Birmas Oppositionsführerin wird am Sonntag ins Parlament gewählt. Doch nicht alle trauen dem Reformkurs der Regierung

Rangun. Es ist nur eine Nachwahl in 45 Wahlkreisen, doch für Birma ist der Wahlgang am kommenden Sonntag womöglich der Beginn einer neuen Zeitrechnung: Die von der ehemaligen Militärregierung jahrelang unter Hausarrest gestellte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wird aller Voraussicht nach ins Parlament einziehen und einen Triumph im jahrelangen Freiheitskampf feiern.

Birmas neue Regierung dagegen hofft auf den Startschuss in eine blühende Zukunft. Sie will die Wirtschaftssanktionen loswerden. Washington und Brüssel haben freie, faire Wahlen zur Bedingung gemacht. Die Zeichen stehen gut: "Wir gehen aus heutiger Sicht davon aus, dass die Wahlen fair und frei ablaufen werden", sagte unlängst der deutsche Botschafter in Rangun, Christian-Ludwig Weber-Lortsch.

Die Birmanen verfolgen den Wahlkampf mit großer Spannung. Die "Lady", wie Suu Kyi (66) genannt wird, hat Hunderttausende begeisterte Menschen auf die Straßen gebracht. "Es wird ein großartiger Tag für uns", sagt ein Betelnuss-Verkäufer in ihrem Wahlkreis Kawhmu stolz. Diese Wahlkampfplakate, -auftritte, -reden - das ist neu in einem Land, das fast 50 Jahre unter der Knute des Militärs stand. Taxifahrer haben Fotos der Oppositionsführerin auf dem Armaturenbrett ihres Wagens; Souvenirverkäufer bieten Aung-San-Suu-Kyi-Schlüsselanhänger feil. Im Hauptquartier ihrer Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) herrscht Hochbetrieb. Helfer verpacken T-Shirts mit dem goldgelben Parteilogo und Wahlkampfbroschüren für den Einsatz in den 45 Wahlkreisen, in denen die Nachwahlen anstehen. Die NLD, die die Parlamentswahlen 2010 noch boykottiert hatte, tritt in allen Kreisen an.

Die Wahl wird zwar nichts an der überwältigenden Parlamentsmehrheit der USDP von Präsident Thein Sein ändern. Die dem Militär nahestehende Partei muss sich aber an eine selbstbewusste Opposition gewöhnen. Und NLD-Sekretär Hantha Myint hat keine Zweifel, dass seine Partei nach den nächsten regulären Wahlen in vier Jahren Birmas Regierungspartei sein wird. "Keiner muss vor uns Angst haben, wenn wir an der Macht sind", sagt der enge Vertraute von Aung San Suu Kyi.

Die Birmanen sind glücklich, aber auch verunsichert angesichts der neuen Freiheiten, die Präsident Thein Sein nach seiner Amtsübernahme vor einem Jahr gewährte. Erzbischof Charles Bo, Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz Birmas, ist einer der vielen im Land, die der Reformpolitik noch nicht trauen: "Der Grad der Freiheit hat sich verbessert. Aber es bleibt abzuwarten, wie ernst sie es meinen." Zu oft in der Vergangenheit wurden die Versprechungen der Generäle von mehr Demokratie und Freiheit gebrochen, das Volk unterdrückt, Demokratiekämpfer eingesperrt und gefoltert.