Terroristische Einzeltäter wie Mohammed Merah sind bei Sicherheitsexperten besonders gefürchtet. “Nächste Stufe des Terrorismus in Europa“.

Hamburg. Nach dem Tod des Serienmörders Mohammed Merah in Toulouse bewegt Terrorexperten die Frage, ob er tatsächlich ein Einzeltäter war, wie Merah behauptet hatte. Ob er die Anschläge allein plante, ob er tatsächlich allein unbemerkt ein Arsenal an Kriegswaffen zusammentragen konnte, obwohl er längst im Visier von Geheimdienst und Polizei war.

Es ist der terroristische Einzeltäter, den die Sicherheitsbehörden am meisten fürchten. Denn gewaltbereite Radikale, die Mitglieder eines Terrornetzwerks sind, hinterlassen Spuren, mit deren Hilfe sich Attentate oft rechtzeitig verhindern lassen. Das können abgefangene E-Mails und abgehörte Telefonate ebenso sein wie überwachte Treffen. Nicht so beim Einzeltäter. Für diesen Terroristentyp haben US-Behörden die Bezeichnung "lone wolf" - einsamer Wolf - eingeführt. Sie geht zurück auf den militanten weißen Rassisten Alex Curtis, der Ende der 1990er-Jahre Gleichgesinnten empfahl, ganz auf sich gestellt Anschläge zu begehen.

Der einsame Wolf teilt zwar die gleiche Ideologie mit den radikalen Organisationen und kann durchaus auch Kontakt mit ihnen unterhalten. Doch seine Anschläge begeht er, ohne auf eine Kooperation angewiesen oder einer Kommandostruktur unterworfen zu sein. "Wir sehen hier die nächste Stufe des Terrorismus in Europa", sagte Sajjan Gohel, Direktor für internationale Sicherheit beim Londoner Anti-Terror-Thinktank "Asia Pacific Foundation". Die Vorgänge in Toulouse hätten die Botschaft an die Anhänger von al-Qaida gesandt, dass sie ganz allein erfolgreiche Terroranschläge begehen können, sagte Gohel dem US-Sender CNN.

Bereits 2010 hatte der inzwischen getötete Al-Qaida-Stratege Anwar al-Awlaki die Taktik, Terror von Einzeltätern in ihre jeweiligen Heimatländer tragen zu lassen, in seiner Internet-Postille "Inspire Magazine" erläutert. Die "Gotteskrieger" sollten gar nicht in ferne Kampfgebiete reisen, sondern möglichst viele Zivilisten in ihrer Umgebung töten, hatte Awlaki geraten.

Der französische Terrorexperte und frühere Richter in Terrorprozessen, Jean-Louis Bruguiere, sagte der "New York Times": "Merah scheint einer neuen Generation islamischer Terroristen anzugehören, die allein handeln - angestachelt durch dschihadistische Internetseiten und ihre eigene Wut." Merah sei mit seiner Biografie des sozialen Versagens, der Kriminalität und der Radikalität typisch für den "homegrown terrorist", den im eigenen Lande aufgewachsenen Terroristen, sagte der französische Geheimdienstexperte Eric Denece. "Es gibt oft nur eine dünne Trennlinie zwischen Kleinkriminalität und al-Qaida."

Für die USA ist der Tätertyp einsamer Wolf bislang - jenseits der Al-Qaida-Anschläge vom 11. September 2011 - schon seit Jahren besonders gefährlich. Bespiele dafür gibt es viele - darunter Timothy McVeigh, der am 19. April 1995 in Oklahoma 168 Menschen bei einem Bombenanschlag tötete, oder der Armeepsychiater Nidal Malik Hasan, der am 5. November 2009 in Ford Hood in Texas 13 Soldaten erschoss.

Zu diesem Tätertyp zählen aber auch der Kosovare Arid Uka, der am 2. März 2011 auf dem Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschoss und zwei andere schwer verletzte. Und natürlich der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik, der am 22. Juli 2011 77 Menschen tötete. Anschläge wie jene in Toulouse könnten sich auch in Deutschland oder Großbritannien ereignen, warnte Terrorexperte Gohel. Diese Taktik sei besonders besorgniserregend angesichts der bevorstehenden Olympischen Spiele in London.