Mohammed Merah wollte angeblich palästinensische Kinder rächen. Polizei scheiterte beim ersten Sturm auf das Haus, in dem er sich verschanzt hatte.

Hamburg/Toulouse. Der erste Zugriff der Anti-Terror-Einheit RAID in Toulouse ging gründlich schief: Der mutmaßliche Mörder von vier Juden und drei Soldaten mit nordafrikanischem Migrationshintergrund feuerte sofort durch die Tür, als er die Annäherung bemerkte. Drei Polizisten erlitten Schussverletzungen. Danach begann der Nervenkrieg. Mehrfach kündigte der 23-jährige Mohammed Merah an, sich stellen zu wollen, warf auch eine Pistole aus dem Fenster, doch brach dann wieder den Kontakt zu den Verhandlern ab.

Er verfügte offenbar noch über eine Uzi-Maschinenpistole, ein Kalaschnikow-Sturmgewehr und andere Waffen. Im Auto seines Bruders fand die Polizei indessen Sprengstoff. Alle Bewohner des fünfgeschossigen Hauses im Toulouser Viertel Croix-Daurade wurden über das Dach evakuiert. Es wäre der Polizei jederzeit möglich gewesen, Merah bei einem entschlossenen Sturmangriff zu töten. Doch man wollte ihn lebend fassen, um ihn zu möglichen Hintermännern oder Komplizen seiner Mordtaten befragen zu können. Am Montag hatte er den Lehrer und Rabbi Jonathan Sandler und dessen Kinder vor einer jüdischen Schule erschossen, ebenso das Kind des Schulleiters. Davor hatte er die drei Soldaten in Toulouse und Montauban getötet. Ein vierter Soldat, ein Schwarzer von der französischen Insel Guadeloupe, war lebensgefährlich verletzt worden.

Präsident Nicolas Sarkozy rief die Bürger auf, angesichts der Tat zusammenzustehen. "Wir dürfen uns weder zur Diskriminierung noch zur Rache verleiten lassen." Er habe sich mit Vertretern der jüdischen und muslimischen Gemeinden getroffen, um zu zeigen, dass sich das Land nicht durch Terrorismus spalten lasse. Die Anschläge dürften den weiteren Verlauf des Präsidentenwahlkampfs bestimmen. Der in Umfragen hinter seinem sozialistischen Herausforderer François Hollande liegende Sarkozy hat versucht, mit den Themen Zuwanderung zu punkten.

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Wer ist der Mann, der mit seinen brutalen Morden ganz Frankreich in einen Schockzustand versetzt hat? Der 23-jährige Mohammed Merah ist ein Franzose algerischer Abstammung. Der Polizei in Frankreich war er seit Langem wohlbekannt, Merah hat im Laufe der Zeit 18 Verurteilungen auf seinem Kerbholz angesammelt, darunter auch Strafen für Körperverletzungen. Den Sicherheitsbehörden war er ebenfalls vertraut. Durch seine Reisen zu Extremisten in Afghanistan und Pakistan sowie durch eine Haftstrafe in Kandahar wegen Bombenlegens war er ins Visier des französischen Inlandsgeheimdienstes DCRI geraten. Merah war am 19. Dezember in Kandahar 2007 festgenommen und zu drei Jahren Haft verurteilt worden.

Wie der Direktor des Sarposa-Gefängnisses in der afghanischen Extremistenhochburg, Ghulam Faruk, bestätigte, saß Merah dort ein und konnte 2008 fliehen. Dies erfolgte offenbar im Zuge des Sarposa-Massenausbruchs am 13. Juni 2008, als Taliban-Kämpfer mit einem Tanklaster die Tore der Anstalt einrammten und das Fahrzeug zur Sprengung brachten, wobei alle umstehenden Wachen getötet wurden. Rund 1200 Häftlinge entkamen - darunter offenbar auch Merah. Im Jahre 2010 bewarb sich der Franzose bei der Fremdenlegion, wurde aber abgelehnt. Offenbar steigerte das seinen Hass auf das französische Militär. Mohammed Merah bezeichnete sich in einem elfminütigen Telefonat mit der Chefredakteurin des Nachrichtensenders France 24 selber als "Mudschahid" sowie Mitglied des Terrornetzes al-Qaida und kündigte weitere Morde an. Offenbar pflegte er enge Kontakte zur radikalen Salafisten-Szene, die den Islam wieder zu der "reinen" Form zurückführen möchte, die zu Zeiten des Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert vorherrschte.

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Der Franzose lebte in den vergangenen Jahren allerdings still und unauffällig in der tristen Wohnblock-Siedlung in der Rue de Sergent Vigne Nummer 17 in Toulouse. Der Geheimdienst DCRI hatte keine Hinweise darauf, dass Merah Anschläge plante. Ein Nachbar sagte, er habe kürzlich beim Transport eines schweren Sofas geholfen. Merah sei diskret und höflich gewesen.

Merahs Bruder sei da wesentlich radikaler gewesen, sagte ein anderer Nachbar namens "Carl".

Und Merahs Anwalt, der ihn einmal wegen eines Autounfalls verteidigte, meinte, diese Radikalisierung sei "nicht absehbar" gewesen. Frankreichs Innenminister Claude Geant sagte aber, Merahs Profil entspreche dem eines sehr entschlossenen Menschen mit klaren Überzeugungen.

Der Mörder gab an, er habe mit seinen Taten den Tod palästinensischer Kinder durch israelische Soldaten rächen wollen. Der palästinensische Ministerpräsident Salam Fajad verwahrte sich empört gegen dieses Tatmotiv. "Es ist höchste Zeit, dass solche Kriminellen aufhören zu behaupten, sie verübten ihre Terrorakte zur Unterstützung palästinensischer Kinder", stand in einer schriftlichen Erklärung Fajads, die in Ramallah im Westjordanland verbreitet wurde. "Unser Volk und unsere Kinder verurteilen diesen kriminellen Terrorismus auf das Schärfste", hieß es weiter in der Mitteilung Fajads, der sich zurzeit in Brüssel aufhält.

Merah wurde gefasst, weil er sich bei einem Motorradhändler erkundigte, wie man bei seiner Yamaha T-Max 530 den Chip entfernen könne, mit dem das Fahrzeug bei einem Diebstahl lokalisiert werden kann. Das kam dem Händler seltsam vor. Zudem hatte Merah über die Internetadresse seines Bruders E-Mail-Kontakt zu seinem ersten Opfer, einem Soldaten algerischer Abstammung. Der Mann wollte sein Motorrad über eine Internetanzeige verkaufen und geriet an seinen Mörder.

Die Anti-Terror-Einheit RAID, die Merah belagerte, wurde 1985 als Reaktion auf eine Serie von Bombenanschlägen gegründet. Sie umfasst rund 60 Spezialisten, aufgeteilt in drei Abteilungen. Die erste ist prinzipiell eine Kampfeinheit zum Ausschalten von Terroristen. Die zweite sammelt Informationen und entwickelt neue Techniken, die dritte ist für die psychologische Begleitung der Einsätze und die Verhandlungsführung zuständig. In ihr arbeiten Psychologen und Ärzte.