Neue Messungen in der Stadt Fukushima zeigen hohe radioaktive Belastungen, und die Mehrheit der Bevölkerung in Japan ist gegen AKW.

Hamburg. Thomas Breuer bewegt sich dieser Tage in Japan zwischen zwei Welten: einer Zukunft mit oder ohne Atomkraft. Der Leiter des Atom- und Energiebereichs bei Greenpeace Deutschland in Hamburg leistet derzeit eine Art Entwicklungshilfe für den Atomausstieg. In der Präfektur Fukui südwestlich von Tokio am Japanischen Meer berät Breuer, 42, Bürgermeister und Umweltverbände, die sich für eine dauerhafte Abschaltung aller Atomkraftwerke in Japan starkmachen. 52 der 54 japanischen Atomreaktoren wurden im Lauf des Jahres 2011 seit der Katastrophe von Fukushima heruntergefahren. Anlass waren zumeist die regulären Revisionen. Einen Beschluss für einen Ausstieg aus der Atomkraft-Nutzung gibt es nicht. Aber kein Reaktor ging nach seiner Abschaltung seit Fukushima wieder ans Netz. Das Wiederanfahren müssen die Präfekturen genehmigen.

Seit der Havarie im Atomkraftwerk Fukushima Daichi im Nordosten des Landes ist Breuer zum dritten Mal in Japan. Beim ersten Mal, im April 2011, nahmen er und andere Experten von Greenpeace International Messwerte außerhalb der offiziellen 20-Kilometer-Evakuierungszone, die von der Regierung um die Reaktoren herum festgelegt worden war.

Breuer und Mitstreiter konzentrierten sich auf ein Gebiet mit einem Abstand von bis zu 40 Kilometern zum Atomkraftwerk. "Wir haben an vielen Orten gemessen, die von der Regierung vernachlässigt worden waren, und stellten fest, dass die radioaktive Belastung auch in diesem weiteren Abstand zum Kraftwerk teils unvertretbar hoch war", sagt er. "Das führte unter anderem dazu, dass die Präfektur Fukushima drei Dörfer zusätzlich evakuieren ließ."

Neue Messungen ein Jahr nach der Katastrophe haben jetzt rund 60 Kilometer entfernt im Großraum der Stadt Fukushima stark erhöhte Radioaktivität ergeben: In einem Parkhaus 50 Meter vom Hauptbahnhof etwa eine Strahlendosis von 70 Mikrosievert pro Stunde, in einem Abwasserkanal nahe einer Wohnsiedlung 40 Mikrosievert pro Stunde. Diese Werte überschreiten die dort ursprünglich gemessene natürliche Strahlung um das 1000-Fache.

Gut ein Drittel seines Strombedarfs deckte Japan vor der Havarie in Fukushima aus Atomkraftwerken. In Deutschland waren es zurzeit des Ausstiegsbeschlusses 2011 rund 20 Prozent. Ein schneller Atomausstieg wäre in Japan noch schwieriger als hierzulande. Den Ausfall seiner Reaktoren gleicht das Land derzeit mit Öl- und Gaskraftwerken aus. Japan besitzt aber praktisch keine nennenswerten Rohstoffe und muss die Energie fast komplett importieren. Zudem sind die Öl- und Gaspreise in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Den Ausbau der erneuerbaren Energien hat Japan bislang vernachlässigt. Mit Fukushima begann eine neue Zeitrechnung.

Die Mehrheit der Japaner steht der Atomkraft heute ablehnend bis skeptisch gegenüber. "Hier hat sich enorm viel verändert", sagt Thomas Breuer. "In den Medien finden sich plötzlich kritische Berichte über die Atomkraft, was früher fast ausgeschlossen war. Und selbst Politiker der konservativen Partei LDP empfangen uns mittlerweile zu Diskussionsrunden. Sie sind bislang die beständigsten Verteidiger der japanischen Atomkraftwirtschaft."

+++ Der Tag, der alles veränderte +++

Die Präfektur Fukui gilt als Hochburg der Atomstromerzeugung. 13 konventionelle Reaktoren stehen dort auf engem Raum. Hinzu kommt der Schnelle Brüter von Monju. Alle Anlagen in Fukui sind derzeit abgeschaltet. Aber alle könnten irgendwann auch wieder angefahren werden.

Japanische Gesprächspartner jeder Couleur wollten heute etwas über den deutschen Atomausstieg lernen, sagt Breuer. Die Informationsbasis vieler Japaner, die er in den vergangenen Tagen getroffen habe, sei allerdings kleiner als erwartet: "Viele haben die feste Vorstellung, dass bei uns in Deutschland wegen des Atomausstiegs mittlerweile die Lichter ausgehen."